„Die Streichliste ist offen“

Die Universität leidet unter massivem Geldmangel, wie Präsident Jürgen Lüthje beklagt. Der Sparwut werden jetzt Fächer und Studienplätze geopfert. Uni-Chef will zudem Bewerbungsgebühr für Studierende

„Die erste Bewerbung sollte gebührenfrei sein, für jede weitere der Verwaltungsaufwand bezahlt werden“

Interview: EVA WEIKERT

taz: Der Hochschulratsvorsitzende Jürgen Timm pocht auf den Erhalt der Fächervielfalt an der Uni. Teilen Sie Timms Meinung?

Jürgen Lüthje: Das fordere ich seit langem. Ich freue mich, dass der Hochschulratsvorsitzende diese Position unterstützt.

Die Uni erwägt aber wegen Unterfinanzierung Fächer zu streichen. Welche Fächer sind das?

Das sind Anthrophologie und Altorientalistik. Sprachlehrforschung und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte werden nicht als Fächer, wohl aber als eigenständige Studiengänge auslaufen. Bei weiteren Fächern wird derzeit geprüft, ob sie erhalten werden können. Dabei müssen wir auch polititische Rahmenbedingungen berücksichtigen, etwa die Empfehlungen der Dohnanyi-Kommission. Ich möchte jetzt aber keine bestimmten Fächer nennen. Wenn ich das tue, werden diese Fächer noch stärker gefährdet, als sie es gegenwärtig sind.

Wonach wird gestrichen?

Ein Aspekt ist die Möglichkeit norddeutscher Kooperation. Gegenwärtig laufen Gespräche zwischen den Landesregierungen in Hamburg und Kiel darüber, ob zwischen den Landesuniversitäten Arbeitsteilung in gewissen Fächern möglich ist. Ferner sehen wir uns an, welche Absolventenzahl bestimmte Fächer haben und welchen Aufwand sie erfordern. Von Bedeutung ist auch, ob ein Fach eine zentrale Stellung im Fächerspektrum der Uni hat. Insgesamt wollen wir alle Fächer erhalten, die zu den Stärken der Uni Hamburg gehören.

Welche Stärken sehen Sie, um etwa im Elite-Wettbewerb des Bundes zu punkten?

Eine unserer Stärken ist die Vielfalt von Kulturwissenschaften. Wo es sich finanziell durchhalten lässt, möchten wir diese Vielfalt erhalten. In der Physik haben wir eine sehr gute Chance, als einer der besten Fachbereiche ausgewählt zu werden. Auch die Juristen nehmen eine herausragende Position ein. Und sicherlich sind die Umweltwissenschaften ein Exzellenzbereich.

Ist die Streichliste offen?

Ja, im Augenblick erörtert das Präsidium mit den künftigen Fakultätsvorständen das finanzierbare Fächerspektrum.

Sie begründen die Fächerstreichungen mit Unterfinanzierung. Die Uni leidet daran aber seit Jahren. Warum streichen Sie jetzt?

Seit 1995 müssen wir jedes Jahr weitere 3 Prozent unserer Stellen und Mittel kürzen. Zunächst ging das ohne Aufgabe von Studiengängen. Inzwischen ist dies nicht mehr möglich. Der letzte Senat hat erstmals keine weiteren Einsparungen beschlossen. Wir müssen aber weitersparen, weil die von den Vorgängersenaten beschlossenen Einsparungen noch nicht voll erbracht werden konnten.

Wie viele Stellen müssen insgesamt abgebaut werden?

Wir haben fast 400 Stellen gestrichen. Wenn Hamburg nicht bereit oder in der Lage ist, zusätzliche Mittel zu bewilligen, werden wir in den nächsten Jahren noch mindestens weitere 100 Stellen streichen müssen. Um die derzeitigen Professuren angemessen ausstatten zu können, würde die Uni jährlich etwa 50 Millionen Euro mehr brauchen.

Befürworten Sie den vom Senat verfügten Abbau von Studienplätzen um weitere 15 Prozent?

Ich halte ihn für falsch. Die Studiennachfrage, aber auch der Absolventenbedarf der Stadt und der Region erfordern den Erhalt der Studienplätze, eher sogar einen Ausbau. Aber klar ist: Wir werden im Zuge der Umstellung auf die Bachelor-Master-Studiengänge die Studienbedingungen sowie die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden verbessern müssen. Gegenwärtig liegt das Verhältnis etwa bei 60:1. Damit steht die Hamburger Uni schlechter da als die meisten anderen deutschen Hochschulen. Ohne zusätzliche Mittel kann eine verbesserte Betreuungsrelation nur erreicht werden, wenn wir die Zahl der Studienanfänger senken.

Ab Herbst darf die Uni mehr Studierende selbst auswählen und Motivation und Fächernoten anrechnen. Wollen Sie mit allen Bewerbern ein Gespräch führen?

Gespräche sind nicht das einzige mögliche Verfahren. Die meisten Aufnahmekriterien können schriftlich dargelegt und entsprechend bearbeitet werden. Man kann etwa fächerspezifische Noten besonders gewichten, Erfahrungen wie Praktika berücksichtigen oder auch schriftliche Begründungen der Studienwünsche erwarten.

Droht Bewerbungsgebühr?

Die erste Bewerbung sollte gebührenfrei sein. Für jede weitere sollte der Verwaltungsaufwand bezahlt werden. Eine kostendeckende Gebühr wäre geringer als die durchschnittliche monatliche Handyrechnung eines Studenten.

Der studentische Protest richtet sich gegen das gesamte Reformpaket des Rechts-Senats. Gibt es Kritik, die Sie teilen?

Ich teile die Kritik an der langjährigen Vernachlässigung der Hochschulen durch die Politik in Deutschland. Andere Punkte des Protestes halte ich aber für sachlich nicht durchdacht. So die Kritik, der Hochschulrat sei wirtschaftlich dominiert. Dem Rat gehören neun Persönlichkeiten an, davon sind fünf hochrenommierte Wissenschaftler, nur zwei sind in Unternehmen tätig. Der Rat wird alle drei Jahre neu gewählt, dabei kann die Universität die Hälfte der Mitglieder bestimmen. Ich denke, dass der Hochschulrat uns gegenüber der Politik wirksam unterstützen wird.

Herr Lüthje, Ihre Amtszeit ist abgelaufen. Machen Sie weiter?

Ich übe das Amt zunächst weiter aus. Der Hochschulrat muss entscheiden, ob er mich zur Wiederwahl vorschlägt. Tut er das, kann ich mir eine weitere Amtszeit gut vorstellen, sofern die Rahmenbedingungen stimmen.