Schöne Frauen, die aus Küken wachsen

Vom Glück der Banalität: Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt mit der Ausstellung „Heißkalt“ aktuelle Werke aus der Sammlung von Ute und Rudolf Scharpff. Seit den Sechzigerjahren spürt das Sammlerehepaar den jeweils neuesten Positionen in der Malerei nach, von den Nouveaux Réalistes bis Jeff Koons

VON GABRIELE HOFFMANN

Das Sammeln von Kunst ist weder nur eine Frage der Leidenschaft noch nur eine des großen Geldes. Es verlangt eine Reihe von Entscheidungen, die der noch unerfahrene Sammler am Anfang in seinem Furor kaum übersieht. So war es auch bei Ute und Rudolf Scharpff, bis sie 1967 dem Stuttgarter Galeristen Hans-Jürgen Müller ins Netz gingen und er ihnen das kleine Einmaleins des Sammelns beibrachte. Sie erwiesen sich als gelehrige Schüler und begannen die Gegenwartskunst zu entdecken, wie sie Müller, Schmela, Zwirner und andere Galeristen feilboten.

Sie lernten den Markt zu beobachten, auf dem die Pop-Art bereits in festen Sammlerhänden war, und entschieden sich für die „Nouveaux Réalistes“ Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Yves Klein und die französischen „Plakatabreißer“. Wenig später erweiterten sie ihr Sammlungsgebiet um einige „Zero“-Künstler. Bei Hans-Jürgen Müller entdeckten sie die „Putzfrau“ von Duane Hanson, kauften sie und überließen sie bald der Stuttgarter Staatsgalerie als Leihgabe, bis ein nicht endender Pilgerstrom den Museumsankauf unausweichlich machte.

Als das Interesse der Sammler an den Neuen Realisten erlahmte, bekam die Kunsthalle Mannheim die gesamte Kollektion zunächst als Dauerleihgabe, bevor sie 1997 in ihren Besitz überging. Die Scharpffs sahen ihr Ziel erreicht: Die Übergabe an ein Museum wurde in der Öffentlichkeit als Beweis für ihren Spürsinn gewertet, das Geld für eine Neuorientierung der Sammlung stand zur Verfügung. Dabei folgten sie der Faustregel: lieber das Beste von nicht so bekannten Künstlern erwerben als drittklassige Werke von großen Namen. Sie erforschten die neuen Trends auf dem Gebiet der aktuellen Malerei – auch in der Hoffnung, auf KünstlerInnen zu stoßen, die der Markt übersehen hatte und deren Werke noch erschwinglich waren. Heute besitzt die Sammlung des Stuttgarter Ehepaars Scharpff Vorbildcharakter.

Nach dem Auftakt in der Hamburger Kunsthalle wird nun die ungebrochene Lust der Scharpffs am Ausspionieren neuer Positionen in der Malerei in der Stuttgarter Staatsgalerie ein weiteres Mal öffentlich. Für den Sterlingbau ist das wie eine Frischzellenkur: Der Wechselausstellungssaal erscheint hell wie nie zuvor, die klobigen Betonsäulen sind fast unsichtbar. Der große Reisende Franz Ackermann belegt mit seiner installativen Malerei gleich eine ganze Wand. „Mental Maps“, kleine gerahmte Papierarbeiten, Selbstvergewisserungen an fremden Orten – „on and on and on“ – vermitteln zwischen Wandmalerei und zwei Leinwandbildern, in denen zusammengeballte graue Architekturen als Zentren monströser, bunter Blüten emporragen.

Am anderen Ende des Saals findet sich auf über sieben Meter Wandfläche der Schriftzug „Unexpected Desaster“ (1999) von Michel Majerus. Koexistenz durch grenzenloses Vermischen, Übertönen, Verdrängen, Zitieren auf allen Ebenen malerischer Bildgenerierung ist 2001 die Botschaft im Bild „Gold“, zwei Jahre vor dem tödlichen Unfall des Luxemburger Malers. Nur ihre langjährige Beziehung zu Jeff Koons ließ die Scharpffs dem Meister das Gemälde „Titi“ entlocken. Ob „Pink Bow“ oder „Titi“: Verführerisch in der Opulenz der Farben wie der erotischen Anspielungen und Glücksversprechungen sind sie beide. Wenn in „Pink Bow“ eine kunstvoll gebauschte lila Schleife und eine Glanzlichter aussendende Schachtel um die Augenlust des Betrachters buhlen, sind es in „Titi“ schöne Frauen, die aus Küken wachsen. Es ist das immer gleiche Hohe Lied vom Glück der Banalität, das der glücksfeindlichen Konstruktion von High und Low den Kampf ansagt.

Der Reiz der mit mathematischer Genauigkeit gefügten Gitterkonstruktionen von Sarah Morris liegt in einer doppelten Lesbarkeit: als Architektur und als konkrete Malerei. In Glenn Browns Gemälde „Dark Angel (for Jan Curtis)“ übernimmt die Architektur das Schichtungsprinzip der Malerei. Von Türmen besetzte Inseln treiben in unwirklichem Licht.

Besondere Dramatik entfaltet die Sammlung, dank der Ausstellungsregie von Gudrun Inboden, da, wo sie in den Bestand der Staatsgalerie einbricht: im Obergeschoss der Staatsgalerie. Hier erlebt man Daniel Richters „Fool on a Hill“ als einen Strudel von Farben und schlingernden Linien aus Öl und Lack, die den Blick einfangen.

Andere Bilder sind narrativer, doch den gesellschaftskritischen Unterton vermittelt auch hier der zur Auflösung tendierende Umgang mit der Farbe. André Butzers Homunkuli sind reine Farbgeburten nach Modellen aus dem Fundus allgegenwärtiger Comicfiguren. Ihre einzige Daseinsberechtigung ist die ungehemmte Entäußerung von Emotionen – auch wenn „Friedens-Siemens“ und andere Namensgebungen den Bedeutungshorizont erweitern.

Besonderes Gewicht hat in der Sammlung Scharpff der Maler Neo Rauch. Seine Bilder verweigern sich dem kurzen Blick. Es ist die Diskrepanz zwischen szenisch angeordneten Personen, die durch Handlung und Kleidung leicht einzuordnen sind, und der Inhomogenität des Ganzen, die das Bild vor schnellen Deutungen abschottet. Vor dem 2003 gemalten „Waldmann“ kann man lange stehen, sich in die düstere Atmosphäre der Landschaft hineinträumen, bevor das Auge die zwei Uniformierten und ihre Opfer am Boden erreicht, um langsam zu den reifen Ähren im Vordergrund zurückzukehren.

Bis 13. Juni, Katalog 19 €