: Spanische Fahnder blicken über das Mittelmeer
Immer mehr Spuren zeigen nach Nordafrika. Erstmals werden wegen der Anschläge von Madrid auch Personen in Marokko festgenommen. Über 20 Verdächtige sind in Haft
MADRID taz ■ Nach fünf Verhaftungen in Spanien wurden gestern in Zusammenhang mit den Terroranschlägen von Madrid erstmals mehrere Personen im Norden Marokkos festgenommen. Das bestätigte ein Regierungssprecher in Rabat. Insgesamt sind damit bislang über zwanzig Personen inhaftiert worden.
Unter den fünf Verdächtigen, die am Mittwoch und Donnerstag in Spanien verhaftet wurden, soll auch einer der Bombenleger sein. Die Ermittler gehen davon aus, dass insgesamt sechs bis acht Terroristen die Bomben in den Pendlerzügen deponiert haben, die insgesamt 190 Menschen in den Tod rissen und über 1.500 Verletzte forderten.
Die jüngsten Festnahmen fanden in Ugena, einem Dorf in der Provinz Toledo und in Madrid statt. In Ugena wurden zwei marokkanische Bauarbeiter, in Madrid ein Syrer und zwei weitere Marokkaner aufgegriffen. Die Polizei hatte zuvor die Telefonate der bereits Inhaftierten verglichen. Nach den Verhaftungen wurden mehrere Wohnungen und ein Geschäft in der spanischen Hauptstadt durchsucht. Es wurden mehrere Kisten mit Dokumenten, Video- und Audiokasetten beschlagnahmt.
Die Polizei fahndet inzwischen nach Verbindungen zwischen den in Ugena festgenommenen Marokkanern und dem radikalen Imam Temsamani Jad Hicham. Der Prediger aus Toledo soll an den Anschlägen auf jüdische und westliche Einrichtungen im Mai 2003 in Casablanca beteiligt gewesen sein, die 45 Todesopfer forderten. Er wurde deshalb voriges Jahr im Juni in Nordspanien festgenommen und ist inzwischen an die marokkanischen Behörden überstellt worden.
Zwei der Verhafteten wurden gestern dem Untersuchungsrichter Juan del Olmo vorgeführt. Bei einem handelt es sich um den Bruder der einzigen verhafteten Frau, Naima Ouled. Sie soll alle Tatbeteiligten kennen, so berichtet die spanische Presse unter Berufung auf Polizeikreise. Die Marokkanerin verweigerte jedoch bisher jede Aussage.
Auch in Sachen Bekennervideo ist die Polizei weitergekommen. Sie geht nun davon aus, dass es am Nachmittag des 11. März, also wenige Stunde nach den verheerenden Explosionen in Madrid aufgenommen wurde. Den auf dem Band zu sehenden „militärischen Sprecher al-Qaidas in Europa“ soll anhand seiner Stimme identifiziert worden sein. Richter del Olmo weigert sich aber weiterhin, das Video oder zumindest ein Foto daraus freizugeben.
Mohamed Darif, Politikprofessor und Terrorismusexperte an der Universität in Casablanca, glaubt den Hintermann der Anschläge zu kennen. Es soll sich um Abdelkarim al-Mejatti handeln. „Die marokkanischen Geheimdienste haben den ernsthaften Verdacht, dass er kurz vor dem 11. März in Madrid war“, erklärt Darif. Mejatti, ein wohlhabende Marokkaner, ist seit den Anschlägen in seiner Heimatstadt Casablanca untergetaucht. Darif vermutet, dass Mejatti der Chef der Islamischen Marokkanischen Kampfgruppen ist, die für die Attentate in Casablanca und Madrid verantwortlich gemacht werden. Er könnte damit das Bindeglied zwischen Dschamal Sugam, einem der Hauptverdächtigen der Madrider Anschläge, und Abu Moussab Zarkaoui sein. Der Jordanier soll einen Teil der irakischen Widerstandsgruppen leiten und ein enger Vertrauter Ussama Bin Ladens sein.
Die Anschläge von Madrid hätten einem Zeitungsbericht zufolge verhindert werden können, wenn die spanischen Geheimdienste Warnungen aus Marokko ernst genommen hätten. Rabat soll Madrid bereits nach den Anschlägen von Casablanca vor 16 mutmaßlichen Terroristen gewarnt haben, berichtete gestern die marokkanische Tageszeitung Aujourd'hui le Maroc, darunter auch Sugam und Mejatti. „Sie wurden nicht einmal überwacht“, schreibt das Blatt und spricht von einem „völligen Scheitern der spanischen Geheimdienste“. Auch die größte spanische Tageszeitung El País kritisierte den noch amtierenden Ministerpräsidenten. „José María Aznar machte sich lieber daran, das Land in einen Krieg gegen den Irak zu führen, obwohl dieser so gut wie nichts mit dem Terror von al-Qaida zu tun hatte.“ REINER WANDLER