: berliner szenen Risse an der Decke
Die Obermieter
Vater Nachbar kommt nach Hause. Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist, zieht er seine Pantoffeln aus. Nun legt er – so muss es sein, es kann gar nicht anders sein – seine schweren, eigens zu diesem Zweck gekauften, eisenbeschlagenen Stiefel an. Und dann springt er. Er springt stundenlang an der selben Stelle. Wumm! Wumm!! Was für eine Kondition! Bevor die Trampler eingezogen sind, haben sie sich für den Hall extra Parkettboden installieren lassen. Ich sehne mich heute nach dieser Zeit der relativen Ruhe zurück, denn immerhin hatten die Arbeiten am Nachmittag ein Ende.
Jetzt geht es nachmittags erst richtig los. Mutter Nachbarin kommt nach Hause. Sie schleudert den Einkauf, der nur aus großen Konservendosen zu bestehen scheint, mit lautem Krachen in die Küche. Vater Nachbar ist so nett, dass er ihr die monströsen Skischuhe, die sie zu Hause am liebsten trägt, schon mal in den Flur hinaus wirft. Sie zieht diese rasch an, gesellt sich zu ihrem Gatten und beginnt ebenfalls zu hüpfen. Auf und nieder: Wumm, wumm! Wumm, wumm!! Nur manchmal unterbrechen sie kurz die Übungen, um die Wände mit einem Schlagbohrer aufzureißen oder die Waschmaschine zu verrücken. Wenn der halbwüchsige Nachbarsohn vom Fallschirmspringertraining nach Hause kommt, lässt er die Stiefel einfach an: Wumm, wumm, wumm!! Währenddessen spielt die Katze mit Bleikugeln, die sie über die Dielen rollt. Seltsamerweise hört man von den Tramplern nie ein Wort. Vielleicht unterhalten sie sich ja mittels Dezibelschwankungen oder verschiedener Sprungfiguren, analog dem Tanz der Bienen. Mit mir dagegen kommunizieren sie über zunehmend in alle Richtungen mäandernder Risse an der Zimmerdecke. ULI HANNEMANN