: Tunis sagt arabischen Gipfel ab
Die Arabische Liga wollte heute über politische Reformen in der Region und einen Friedensplan mit Israel diskutieren. Doch die Mitgliedsstaaten sind völlig zerstritten
KAIRO taz ■ „Kein Kommentar, kein Kommentar, kein Kommentar“, warf der sichtlich völlig entnervte Generalsekretär der Arabischen Liga, Amru Musa, den wartenden Journalisten in Tunis entgegen und rannte davon. Arabische Gipfeltreffen sind selten der Inbegriff harmonischer Einigkeit, doch nun haben sich die 22 Mitglieder der Arabischen Liga so zerstritten, dass ein für den Montag in der tunesischen Hauptstadt geplantes Treffen der arabischen Staatschefs kurzerhand abgesagt wurde.
Eigentlich standen für das Treffen längst überfällige politische Reformen auf der Tagesordnung. Außerdem sollte ein vor zwei Jahren vom saudischen Kronprinz Abdallah ins Leben gerufener Friedensplan mit Israel neu aufgelegt werden. Doch in der Nacht zum Sonntag ließ das tunesische Außenministerium eine Bombe platzen: Das Treffen sei auf unbestimmte Zeit verschoben. Zu groß seien die Differenzen bei den Themen „von großer Wichtigkeit für den Prozess der Entwicklung, Modernisierung und Reform in unseren arabischen Staaten“, hieß es in einer Erklärung.
Es dauerte einige Stunden, bis sich Generalsekretär Amru Musa wieder gefasst hatte. Die Liga sein nun endgültig in ihrer Handlungsfähigkeit bedroht, ließ er verbreiten. „Die Entscheidung zur Verschiebung des Gipfels wird gefährliche Folgen für das gemeinsame Handeln der Araber haben.“ Er forderte das größte arabische Land Ägypten auf, nun sein politisches Gewicht zu nutzen, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu suchen.
Nach dem die arabischen Regime international und zu Hause zunehmend unter Reformdruck geraten, sollte das Treffen dazu dienen, eigene Reformvorschläge auszuarbeiten. Ägypten, Jordanien, der Jemen, Katar und Tunesien hatten entsprechende Vorlagen angekündigt. Sie wollten damit vor allem auf die von Washington ins Leben gerufenen Initiative „Greater Middle East“ antworten, die in Folge des Irakkriegs politische Reformen einklagt. Die Initiative von außen war bei den arabischen Regierungen zunächst auf wenig Gegenliebe gestoßen. Der Gipfel sollte nun dazu dienen, der Öffentlichkeit einen eigenen Reformweg zu präsentieren.
Hinzu kommt die von der israelischen Regierung angeordnete Ermordung des Hamas-Führers Scheich Jassin in der vergangenen Woche. Eine parallel zur Reformdiskussion geplante Neuauflage eines auf dem arabischen Gipfel in Beirut vor zwei Jahren formulierten arabischen Friedensangebots an Israel war nicht mehr politisch durchsetzbar. Darin hatten die arabischen Staaten einen umfassenden Frieden angeboten, sollte sich Israel aus den 1967 von ihm besetzten Gebieten zurückziehen. „Dafür brauchen wir einen Partner und sicher ist, das die derzeitige israelische Regierung keinen solchen darstellt“, hatte Musa bereits im Vorfeld des Gipfels bereits erklärt. Sechs arabische Staaten, darunter Ägypten und Saudi-Arabien, hatten angekündigt nur ihre Ministerpräsidenten zu schicken. Daraufhin zogen die tunesischen Gastgeber die Notbremse.
„Das Ganze stellt einen der totalen Zusammenbruch dar“, glaubt der ägyptische Politologe Muhammad Sid Ahmad. „Arabische Regime waren ohnehin nicht zu ernsthaften Reformen bereit, sondern höchstens zu vagen Reformversprechungen“, führt er fort. Tatsächlich existierte ein Vorschlag, auf dem Gipfel eine Art Schwur gegenüber Gott und den eigene Völkern abzugeben, das Reformprojekt ohne weitere konkrete Vorschläge angehen zu wollen. Auch Muhammad Said Sayyed vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in Kairo ist wenig enttäuscht über die Gipfelabsage. „Wir hatten ohnehin kaum Erwartungen“, sagt er. „Sie können sich nicht einmal auf eine Reform der Arabischen Liga, einigen, geschweige denn darauf, sich selbst zu reformieren.“ Seine Schlussfolgerung: „Was wir gerade erleben, ist die Bankrotterklärung des regionalen arabischen Systems. Es ist ohnehin bereits halb tot und wird Stück für Stück weiter verschwinden, bis es irgendwann überhaupt nicht mehr existiert und niemand ihm eine Träne nachweinen wird“. KARIM EL-GAWHARY
meinung und diskussion SEITE 11