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Archiv-Artikel

Einkehr ohne Gott

Religion als Kunstobjekt, Kunst als religiöses Phänomen: Das Festival „Dein Wort in Gottes Ohr“ bietet Alternativen im Advent

VON TIM CASPAR BOEHME

Der Tod Gottes lässt auf sich warten. Die Säkularisierung scheint als Prozess nicht nur abgeschlossen, sondern rückläufig. Mehr und mehr kehren die Religionen wieder, häufig als fundamentalistische Fratzen des Glaubens. Oder Religion ist, wie in der Adventszeit regelmäßig zu erleben, eine spirituelle Leerformel als Marketingtool für entfesselten Konsum. Was tun, wenn man meint, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen bedienen zu können? Die Sophiensæle und das ausland suchen mit dem Festival „Dein Wort in Gottes Ohr“ an den Adventswochenenden nach künstlerischen Antworten, ohne völlig vom Glauben abfallen zu wollen.

Passiert man den Durchgang zum Hof der Sophiensæle, bemerkt man als Erstes eine Kabine im Stil eines Fotoautomaten. Bilder kann man mit diesem Gerät zwar keine anfertigen lassen, dafür bietet der „Gebetomat“ von Oliver Sturm eine Auswahl an spirituellen Gesängen und Versen der verschiedensten Religionen, vom Islam über die Bahai bis zu Ritualen aus Kalamantan. Wer will, kann sich auch das „Gebet für völlige Freiheit“ von Scientology vorlesen lassen.

Das Festival „Dein Wort in Gottes Ohr“ versteht sich zunächst einmal als „religionskritisch“, allerdings bedienen sich die einzelnen Arbeiten höchst unterschiedlicher Mittel. Bei der Künstlergruppe Club Real fallen diese etwas drastisch aus. In ihrer „Eisernen Kirche“ im Hof der Sophiensæle kann der Besucher das „achte Sakrament“ empfangen, ein Darsteller in Tierkostüm verabreicht die „Gabe der Gewalt“. Zuvor muss jedoch ein „Zähmungsvertrag“ unterzeichnet werden, in dem man einwilligt, einfache Körperverletzungen in Kauf zu nehmen.

„Dein Wort in Gottes Ohr“ will aber auch „missionarisch“ sein. Religion wird nicht nur mit künstlerischen Mitteln kritisiert, zugleich wird die künstlerische Erfahrung ganz bewusst als spirituelles Ereignis inszeniert. „Was ist Kunst ohne Glauben?“, lautet eine der programmatischen Fragen des Festivals. Neben der Religionskritik gibt es also ebenfalls Raum für das Kunstreligiöse.

Am deutlichsten machte sich dies in den Konzerten des Festivals bemerkbar. Den Auftritt des hochkarätigen Alexander von Schlippenbach Trios am Sonntag kündigte Kurator Gregor Hotz gar mit den Worten an, ein Free-Jazz-Konzert habe nicht fehlen dürfen, schließlich sei diese Musik etwas „Spirituelles und Befreiendes“. Auch wenn der Pianist von Schlippenbach und seine beiden Mitstreiter, Saxofonist Peter Evans und Schlagzeuger Paul Lovens, nicht wie angekündigt in vollem Ornat auf der Bühne erschienen, herrschte während ihres zweiteiligen Sets andächtiges Schweigen.

Free Jazz ist die Spielart des Jazz mit dem höchsten Kunstanspruch. Bei Schlippenbach, Parker und Lovens kann man eine besonders avancierte Form des Zusammenspiels erleben. Was wie ein stetiges Aufbrausen daherkommt, ist Ergebnis genauen Aufeinanderhörens, das scheinbare Chaos nichts als Hingabe an das Ideal des reinen Klangs. So hatte die konzentrierte Musik des Trios nicht nur in ihren stillen Momenten etwas von strengen Exerzitien.

Noch offenkundiger sakral geriet das Konzert des Berliner Improvisationstrios Perlonex mit dem legendären Minimalisten Charlemagne Palestine, einem in Deutschland weitgehend unbekannten Komponisten. Der amerikanische Musiker machte in den Siebzigern durch sein exzessives Klavierspiel auf sich aufmerksam, bei dem er Repetitionsmuster so lange mit voller Kraft in den Flügel hämmerte, bis das Instrument verstimmt war und seine Finger bluteten. Laut Palestine entstammt der Minimalismus einem potenziell heiligen Ort. Im Konzert mit Perlonex überlagerten sich gleich zwei spirituelle Ebenen: Zu den langsam anschwellenden Drone-Klängen, die das Trio aus Elektronik, Gitarre und Schlagzeug gemeinsam mit Palestines Tastenspiel wie ein Mönchsmantra zelebrierte, gesellte sich in unregelmäßigen Abständen die ritualistisch anmutende Stimme des Komponisten – ein Gebet aus Vokalen und seltsamen Tönen.

Weniger andächtig ging es in der „Groschenromanlesung“ des Schauspielerinnenquartetts Shiny Shilling Shockers zu. Passend zur Adventszeit konnte man sich bei Nüssen und Weihnachtsgebäck Geschichten erzählen lassen. Allzu Besinnliches wurde nicht geboten, ging es doch vornehmlich um sexuelle Wirrungen im bayerischen Holzfällermilieu, stilecht mit Bajuwarengedöns untermalt von DJ Hypnorex. Doch bei aller Unterhaltsamkeit beschränkte sich die Religionskritik sehr aufs Performative.

„Dein Wort in Gottes Ohr“ ist ein Angebot, mit dem Thema Religion bekenntnisfrei umzugehen und sich dem Glauben an die Kunst hinzugeben. Hier und da könnte ein wenig mehr inhaltliche Beschäftigung mit Religion in kritischer Absicht nicht schaden. Warum nicht auch Lesungen von Sex-and-Crime-Geschichten aus der Bibel? Für die Adventstage ist das Festival aber auch so schon ein Lichtblick in finsteren Zeiten.

„Dein Wort in Gottes Ohr“. Bis 21. Dezember, Programm unter www.dwigo.net