: Im Spiegelkabinett des Rap
Der HipHop-Produzent Otis Jackson jr. verkörpert im Alleingang eine komplette Liga von Superhelden: Gleich sieben Bösewichter hat er für sein Projekt „Madvillain“ versammelt
VON UH-YOUNG KIM
Nichts findet ein Comic-Nerd so aufregend wie das Aufeinandertreffen von Superhelden aus verschiedenen Serienwelten. Der gewöhnliche HipHop-Fan ist da nicht viel anders. Selten waren so viele Lieblingsfiguren des Independent HipHop versammelt wie bei Madvillain für das Album „Madvillainy“ (Pias/Rough Trade) – obwohl die Superschurken eigentlich nur zu zweit sind.
Der aus dem kalifornischen Kaff Oxnard stammende Otis Jackson jr., bekannt als Madlib, hat seiner mehrfach gespaltenen Künstlerpersönlichkeit bereits in der imaginären Jazzfunk-Band Yesterdays New Quintet freien Lauf gelassen. Kürzlich mimte der von Roy Ayers und Radiohead bewunderte hardest working producer in showbiz noch den grimmigen Thug als eine Hälfte von Jaylib. Hat er Helium inhaliert, schlüpft er in die Rolle von Lord Quas: einem außerirdischen Rüsselwesen mit einer Vorliebe für den galaktischen Free Jazz von Sun Ra. Ebenfalls als nicht von diesem Planeten stammend gibt sich Daniel Dumile aus, wenn er als MF Doom hungrig Mikrofone verschluckt. Anfang der Neunzigerjahre stänkerte er als Rap-Radikaler Zevlove X von KMD in der gerade aufblühenden HipHop-Nische herum. Nach dem tödlichen Unfall seines Mitrappers und Bruders galt Dumile acht Jahre als verschollen, um 2001 hinter einer Metallmaske und mit gleich drei Identitäten wieder aufzutauchen. Für den dunklen Rächer MF Doom, das Space Monster King Geedorah und den Zeitreisenden Viktor Vaughn entwarf er komplexe Fiktionen, die selbst Stan Lees Mutantenmythen in den Schatten stellen. Macht zusammen mindestens sieben Charaktere in dieser Liga der Asse des Bösen.
Während für Ich-AGs mit Charts-Ambitionen der Name als Trademark und das Gesicht als Corporate Identity wertmaximierend in die Arena der Aufmerksamkeit gestreut werden, verweigert sich das Spiegelkabinett von Jackson und Dumile dem mitunter entwürdigenden Authentizitätsgebaren um Persönlichkeit als Ware.
Wie Graffitimaler hinterlassen sie die kodierten Signaturen ihrer wechselnden Identitäten auf einer Landkarte, die groß genug ist, um von der Gemeinde der Rucksack tragenden Independent-HipHop-Hörer verehrt zu werden. Und klein genug, um im blinden Fleck von Lizenzanwälten der Musik- und Comicindustrie ihren Spaß zu haben.
Nun ist das Superheldenthema im HipHop so neu nicht. So unterschiedliche Rapper wie Grandmaster Flash und Jeru The Damaja, aber auch Ghostface Killa haben sich übernatürliche Rollen angeeignet, um sich als larger than life und Retter der Kultur zu präsentieren, die ständig als von den düsteren Mächten des Ausverkaufs bedroht erscheint. Madvillain aber nutzen die Ebenen ihrer multidimensionalen Pseudonyme als kreativen Freischein.
Statt seriellen Mastfutters entfalten in Jazz getauchte und staubig knuspernde Loops den auratischen Charme von „klassischem“, auf Samples basierendem HipHop, wie er seit Ende der Neunzigerjahre von der Westküste der USA eine zweite Welle erlebt. Madlib schält seine rohen Grooves mit Lo-Fi-Mitteln, wie einem Sampler für zweihundert Dollar, und begeistert sich dabei für Bassfrequenzen und obskure Soundedits. Schlafwandlerisch sicher gleitet der Workaholic von psychedelischem Soul über Hardcore-HipHop bis Astro Jazz. Wie stets bei seinen Projekten ist „Madvillainy“ in nur einer Woche im heimischen Keller entstanden. Dorthin lud der Kiffer den kongenialen Alkoholiker MF Doom ein. Perfekt passen der von EPMD und Biggie Smalls genährte Rapflow und Dooms Tick für darke Comic-Helden zum um ein paar Windungen weitergeschraubten Sound von HipHops goldenem Zeitalter. Der Mann mit der eisernen Maske verlässt das soziale Terrain des Storytelling und begibt sich in den Battle der geschmeidig groben Wortspiele, in denen seine Alter Egos in zweiminütigen Episoden um die Oberhand kämpfen.
Obwohl die Sprechblasen mehr von Selbsttherapie als von Sozialkritik handeln, führen gleich zu Anfang Samples aus Fernsehserien der Fünfzigerjahre in ein Metropolis, das von paranormalen Mächten in Atem gehalten wird. Paranoisierende Radiostimmen warnen vor unkontrollierbaren Superschurken, die auf der falschen Seite des Gesetzes stehen und Terror über die Bevölkerung bringen. Die Sonic Fiction von Madvillain dringt spielerisch in die allgegenwärtige Angstmaschine ein und hält einem eine infantile Welt aus patriotischen Supermännern und entmenschlichten Schurken vor Augen. Mehr noch als die schönsten und auch heftigsten Rapstücke seit langem haben die beiden Alienliebhaber so ein durchgedrehtes Hörspiel noir produziert.