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Archiv-Artikel

Eltern im Alkoholdunst

Süchtige Eltern stellen Kindergärten vor große Probleme

Bremen epd ■ Die Alkoholfahne mittags im Kindergarten lässt keinen Zweifel mehr zu: Die Mutter der vierjährigen Kerstin hat getrunken. Nun will sie ihre Tochter vom Kindergarten abholen. Situationen wie diese sind kein Einzelfall. Soll das Problem offen angesprochen werden?

“Erlebnisse dieser Art begleiten mich durch meine gesamte, bisher 30-jährige Berufspraxis“, so Renate Braun. Die Leiterin der Kindertagesstätte im Zentrum der St.-Pauli-Gemeinde Bremen hat erfahren, wie schwer es ist, darüber zu reden. Suchtberater Konrad Zaiss schätzt, dass es wohl kaum eine Kindergartengruppe gibt, in der nicht mindestens ein Kind von der Sucht eines seiner Eltern betroffen ist.

Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren wächst etwa jedes zehnte Kind in Deutschland mit alkohol- oder medikamentenabhängigen Eltern auf. Dabei spiele die soziale Schicht im Prinzip keine Rolle, sagt Herbert Hinze, der als Suchtberater bei der Bremischen Evangelischen Kirche arbeitet. Doch da Sucht ganz allgemein mit großer Scham verbunden ist, lastet gerade auf den Kindern aus Suchtfamilien ein Redeverbot. Sie verstummen, sind oft scheu, still, auch überangepasst, brav und fleißig. Solche Kinder können laut Zaiss am wenigsten eigene Bedürfnisse zeigen „und werden so auf eine künftige Suchtkarriere geradezu programmiert“. Schweigt die Erzieherin, macht sie sich zur „Mitspielerin“, zur Co-Alkoholikerin, die die Sucht deckt. „Klar ist auch, dass die Einrichtung nicht alles lösen kann. Deshalb müssen möglicherweise Behörden wie der sozialpsychiatrische Dienst eingeschaltet werden.“

Renate Braun hat das Jugendamt informiert. „Das hat viel Überwindung gekostet, weil wir uns natürlich sofort gefragt haben, was wir da dem Kind antun“, erinnert sich die Erzieherin. Tatsächlich reagierte die alkoholkranke Mutter verärgert und meldete ihren Nachwuchs ab. Trotzdem sei der Schritt richtig gewesen: „Wir hatten das gute Gefühl, dass sich dann andere beim Jugendamt weiter gekümmert haben.“ Dieter Sell