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Archiv-Artikel

Mein Kind, der Roboter

In Berlin werden immer mehr junge Frauen schwanger. Ein Jugendprojekt zeigt Teenagern, wie anstrengend ein Kind sein kann – mit programmierbaren Baby-Puppen. Manche der Eltern auf Probe sperren diese entnervt in einen Schrank

Ein Schrei tönt aus dem Kinderwagen. Ein Mann pöbelt die vermeintliche Mutter an: „Wohl noch nie etwas von Verhütung gehört.“ Sie ist gerade einmal 14. Gerade lernt sie, wie es ist, schon so jung Mutter zu sein. Im Kinderwagen liegt eine Puppe aus Plastik, ein Baby-Roboter. Die Jugendliche ist für fünf Tage Mutter auf Probe.

Meist schreit die Puppe

Beim „Projekt Babyboom“ des Jugendwerks Aufbau Ost bekommen Teenager eine programmierte High-Tech-Plastikpuppe, die sich aufführt wie ein echtes Baby. Sie bewegt sich zwar nicht, macht aber Geräusche, gluckst zufrieden oder schreit. Meist schreit sie mehr. Mitunter die ganze Nacht. Es gibt keinen Knopf zum Ausschalten. Wie bei einem richtigen Baby. Die Puppe muss gefüttert und in den Arm genommen werden und braucht relativ oft neue Windeln. Projektleiterin Theresa Müller (*) ist sich sicher: „Nach der dritten schlaflosen Nacht merken viele, was es heißt, ein Kind zu haben.“

Die Puppen kommen aus den USA. Eine kostet stolze 760 Euro. Seit Dezember 2002 bietet das Jugendwerk Aufbau Ost die fünftägigen Elternpraktika in Schulen in ganz Berlin an. 160 Teenager zwischen 13 und 17 Jahren haben bereits mitgemacht.

„Die Jugendlichen haben nicht immer sehr realistische Vorstellungen, was das Leben mit einem Baby angeht“, findet Müller. Einmal war ein Mädchen nach dem ersten Tag ganz erstaunt, dass das Baby auch in der Nacht schreit. Bevor die Teilnehmer ihre Puppen bekommen, müssen sie einschätzen, wie sich das Kind auf ihre Beziehung auswirkt. Bis auf zwei oder drei meinen alle, die Beziehung würde sich verbessern. „Die Paare“, sagt Müller, „fangen in der Regel schon wärend des Projekts an, sich anzufauchen.“

Richtige Eltern rebellieren

Auch die Eltern der Puppeneltern müssen einiges aushalten. Einmal rief ein Vater mitten in der Nacht bei der Kursleiterin an. Er beschwerte sich, dass die Puppe ständig schrie. Er wollte schlafen. Eine Mutter war aufgebracht, weil das Plastikbaby ihrer Meinung nach viel zu viel zu trinken brauchte.

Dort, wo Theresa Müller mit ihrem Projekt hingeht, in Hauptschulen, in Plattenbauviertel, ist für viele Teenager Kinderkriegen so ziemlich die einzige Zukunftsperspektive. Müller erzählt von einer Schulklasse, in der sie vor einem Jahr mit ihren Puppen war. Kein einziger der Kursteilnehmer hat nach dem Abschluss einen Ausbildungsplatz gefunden. So geht es vielen. „Weil sie ihrem Leben einen Sinn geben wollen, etscheiden sich auch schon 14- oder 15-Jährige bewusst für die Elternschaft.“

Die Zahl der Teenagerschwangerschaften hat in den vergangenen Jahren in Berlin im Verhältnis zugenommen. Vor allem die Schwangerschaftsabbrüche wurden mehr. Auch ungewollte Schwangerschaften soll das „Projekt Babyboom“ verhindern. Statt nur, wie sonst im Aufklärungsunterricht, zur Verhütung zu ermahnen, sollen hier die Teenager erfahren, was Kinder auch bedeuten: eine Menge Stress, der das Leben ziemlich durcheinander bringt.

Immer wieder klingelt das Notfalltelefon. Wenn die jungen Eltern mit ihrem Baby überfordert sind, wird das Projekt abgebrochen und die Puppe ausgeschaltet. So machen es die Mutigen. Bei anderen stellt sich erst nachher beim Ablesen der aufgezeichneten Daten heraus, dass die Puppe wohl einfach in einen schalldichten Schrank gesperrt worden ist.

Dabei ist das Automatenbaby im Vergleich zu einem echten Kind sogar noch äußerst pflegeleicht. Es muss nie zum Arzt. Seine Windel soll zwar gewechselt werden, richtig dreckig wird sie aber nie – irgendwo hat jede Simulation Grenzen. Zum Trinken muss nicht einmal die Flasche aufgefüllt werden.

Projektleiterin Thersa Müller ist sich trotzdem sicher:„Auch wenn die Babys nicht echt sind. Die Erfahrungen sind echt.“BERNHARD HÜBNER

* Name ist der Redaktion bekannt