piwik no script img

Archiv-Artikel

Scherf regiert jetzt auch Berlin

In der Hauptstadt verbeugen sich SPD-General Scholz wie sein CDU-Kollege Meyer vor dem Bremer Triumphator – auch wenn Meyer findet, „ein paar zu viele“ seiner Leute hätten Scherf gewählt

BERLIN taz ■ Politiker haben ein offenbar nie versiegendes Talent, Wahlergebnisse so zu interpretieren, dass sie, egal wie sie aussehen, der eigenen Partei nützen. Man hätte sich, natürlich nur rein theoretisch, vorstellen können, dass die Bundes-SPD das Wahlergebnis von Bremen als eine Ermutigung für eine rot-grüne Koalition und damit für die eigene Regierung in Berlin ansieht. Aber nein. Als Generalsekretär Olaf Scholz kurz nach halb sieben im Berliner Willy-Brandt-Haus vor die Presse tritt, liegt er mit seiner kurzen, prägnanten Wahlanalyse schon ganz auf der Linie des großen Wahlgewinners Henning Scherf. Natürlich lässt sich Scholz den süffisanten Hinweis nicht entgehen, das wichtigste Ergebnis der Bremer Wahl sei die Erkenntnis, dass Sozialdemokraten noch Wahlen gewinnen können. Angesichts der Serie von Niederlagen vor und nach der Bundestagswahl kein gerade überflüssiger Gedanke.

Aber schon der zwei Satz gilt Scherf. Der SPD-Wahlsieg sei dessen Erfolg und dessen Verdienst und die Bremer würden erwarten, so Scholz, dass Scherf seine „sehr erfolgreiche Politik“ fortsetze. Außerdem, fügt der Generalsekretär hinzu, wünsche sich die Parteizentrale in Berlin, dass Sozialdemokraten nach der Wahl das halten, was sie vor der Wahl versprochen hätten. Das ist die offizielle Absegnung der großen Koalition durch Gerhard Schröder in Gestalt seines Generalsekretärs.

Selbst wenn sich die Parteiführung in Berlin vielleicht doch Rot-Grün in Bremen wünschte – sie weiß, dass es keinen Zweck hätte, Scherf davon überzeugen zu wollen. Der Bremer Bürgermeister hat seinen Wahlkampf unter weitgehender Ausschaltung Gerhard Schröders bestritten und von Anfang an gesagt, dass für ihn nur eine Fortsetzung der großen Koalition in Frage kommt. Es ist ganz allein sein Sieg.

Welch zweifelhaftes Vergnügen große Koalitionen bedeuten können, erfuhr gestern CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Der Machterhalt war zwar gesichert, doch um den Preis dramatischer Verluste für die eigene Partei – dieses Ergebnis musste der General so gut verkaufen, wie es eben ging. Ein „sehr persönlicher Erfolg“ des SPD-Bürgermeisters Henning Scherf sei das Ergebnis, darum aber auch nur ein „landespolitisches Ereignis“. Meyer räumte ein, für die CDU habe sich in Bremen eine „sehr problematische Situation“ ergeben. „Wenn wir stärker werden als die SPD, ist die große Koalition kaputt“ – diese Überlegung habe das Wahlverhalten vieler Unions-Sympathisanten bestimmt. Entsprechend hätten „ein paar zu viele“ Wähler für die SPD gestimmt. Weil Scherf sich bereits im Wahlkampf für die Fortführung der großen Koalition ausgesprochen hatte, interpretierte Meyer die Zugewinne für die SPD sogar als „klare Absage an Rot-Grün“. Offensichtlich könnten sich SPD-Landespolitiker „nur noch gegen die Bundespartei profilieren“, sagte Meyer und zog eine Verbindung zur rot-grünen Koalitionskrise in NRW: „Ich habe den Eindruck, dass sich Herr Steinbrück auch schon nach diesem Schema verhält.“

Die Stimmung in der grünen Parteizentrale in Berlin konnte sommerlicher nicht sein. „Unfassbar“ und „das wird unser Projekt 18“, so die vergnügten Rufe grüner Politiker angesichts der ersten Hochrechnungen. Optimistisch denn auch die Botschaft des Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer: „Der Genosse Trend bleibt grün.“ Unüberhörbar auch der Wunsch der Anwesenden, dass die Grünen in Bremen künftig mitregieren. „Es gibt nur eine Partei, die wirklich gewonnen hat: Bündnis 90/Die Grünen“, sagte Bütikofer. In Berlin hofft man nun, dass sich Scherf mit seiner Koalitionsaussage noch eines Besseren besinnt. Gestern wurde darum beim Fernsehen besonders genau hingehört. Mehrere Genossen wiesen darauf hin, dass es auch bei den Verhandlungen mit der CDU wieder um „Inhalte“ gehen solle. Vielleicht erste Anzeichen für einen Wechsel in Bremen, hofften gestern noch einige Grüne. JENS KÖNIGLUKAS WALLRAFF, MATTHIAS URBACH