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Archiv-Artikel

Pauker‘s Poetry

Beim Bremer Literatur-Marathon zeigte die Pädagogen-Fraktion Flagge: Die „Bremer Anthologie 2003“ präsentiert zwar größtenteils Texte von Lehrern, aber die sind gar nicht mal so schlecht

Herabfallende Kronleuchter und einstürzende Ehemänner Nächstes Mal mehr Tram-Schaffner und Tresenschlampen

Immer diese Lehrer: Faule Säcke! Beaujolais-Alkoholiker! Toskana-Urlauber! taz-AbonnentInnen! Hobby-Literaten! Die Anthologie der Vorurteile zeigt: Lehrer verstehen es zu leben. Und couragiert sind sie auch. Statt ihre Gedichte und Geschichten in der Schublade zu verstecken und den üblichen „Wenn ich erst Rente kriege, schreibe ich einen Roman“–Quatsch abzulassen, haben sie ihre Texte zum Bremer Donat-Verlag gesandt. Der suchte Unveröffentlichtes für ein neues Projekt: „Die Bremer Anthologie 2003“. Gefragt war Vielfalt: Bereits veröffentlichte, aber auch noch ganz frische Autoren aus dem Bremer Raum, Prosa und Poesie, Hochdeutsches und „Plattes“. 111 Autorinnen und Autoren aus Bremen und umzu schickten Beiträge, 48 wurden ausgewählt. Die „Bremer Anthologie 2003“ erschien vergangene Woche.

In einer Traditions-Buchhandlung am Wall haben die Autoren das Ereignis am vergangenen Sonntag mit einem Literatur-Marathon gefeiert: Jeder Schreiber las einen seiner veröffentlichten Texte. Durchschnittsalter der Autoren: 57 Jahre. Na klar, da lässt sich gut spotten. Aber wo war sie denn, die junge, trendige Pop- und Punk-Literatur-Elite, wo waren die schreibenden Soziologen, Sportjournalisten, Kulturredakteure, taz-Praktikanten, als der Verlag zum Einsenden von Texten aufrief? War wieder alles andere wichtiger? Oder publizieren die nur bei Suhrkamp?

Bis zum letzten Platz besetzt war der Lesesaal der sympathisch altmodischen Buchhandlung mit AutorInnen, GattInnen, Freunden und Kindern. Der Laden brodelte vor guter Stimmung.

Und was lasen sie so, die Bremer Texter und Poeten? Von wichtigen Stationen ihres Lebens erzählt Bruni Afshar-Nia: Bremen. USA. Iran. Bremen. Multiple Sklerose. taz-Autor Hans Happel spürt in seiner Erzählung „Mein älterer Bruder“ der Lebensgeschichte des 1969 verstorbenen Schriftstellers, Herumtreibers und „Knaben-Liebhabers“ Hans Siemsen nach. Vom Eislaufen im Blockland erzählt Hans Ulrich zu Bremen. Heidemarie Voigt begegnet in der Straßenbahn Linie 4 einem „Wüstensohn“ und beginnt – wie unbremisch! – eine Unterhaltung. Ein scheinheiliger Ehemann fällt in Erika Engels Erzählung dem von der Decke herabstürzenden Kronleuchter zum Opfer…

In den Lese-Pausen konnte man Sekt schlürfen, Schokoküsse essen, das bunte Bücher-Sortiment bewundern und Live-Musik hören. Ein bisschen Volksfeststimmung kam da schon auf.

Etwas bemüht und kulturbeflissen hören sich einige Texte zwar an. So wie Leute eben schreiben, die sich nicht ganz sicher sind, ob sie es dürfen, und die alles richtig machen wollen.

Auffallend ist aber die Lebendigkeit, mit der die Leute vortragen. Lehrer können das gut. Werner Tauke etwa, der sehr schwungvoll und echt paukerhaft gestikulierend den alljährlichen Abiturszirkus an seiner Schule durch den Kakao zieht. Den Spaß am Texten und den Stolz auf das Resultat merkte man den Lesenden angenehm an.

Wird es eine Bremer Anthologie 2004 geben? Der Verleger will noch nichts versprechen, aber möglich wär‘s schon. Und wenn es dann so weit ist: Macht beim nächsten Mal alle mit, ihr arbeitslosen Informatiker, Straßenbahnschaffner, Tresenschlampen: Ihr braucht keine Angst zu haben. Ihr müsst nicht gleich „Literatur“ produzieren. Schreibt einfach auf, was euch vorgestern oder vor einem Jahr Verrücktes oder Bezauberndes passiert ist. Die Chancen stehen gut, dass wir das lesen und hören wollen.

Katharina Müller