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Archiv-Artikel

Im Hirn herrscht gähnende Leere

Halb Wissenschaftler, halb verspielter Soundcouturier: Der Wiener Klangarchitekt Bernhard Leitner untersucht Körper und Räume mit akkustischen Mitteln. Jetzt zeigt die Galerie Gelbe Musik eine Auswahl seiner Arbeiten und Experimente

VON HARALD FRICKE

Zum Gespräch war der Raum völlig überfüllt. 100 Zuhörer wollten sich letzte Woche in der TU von Bernhard Leitner erklären lassen, wie sein „Ton-Raum“ funktioniert, den er 1984 im Treppenaufgang des Lichthofs eingebaut hat. Seither brummen und schaben die Lautsprecher hinter den Verschalungen, werden Studenten mit feinen Geräuschen verschreckt, die von innen an der Wand kratzen, als hätte man dahinter ein Mäuslein eingemauert.

Dabei ist Leitner nicht so sehr an Spuk und Klangzauber interessiert, sondern an der mathematisch genauen Untersuchung von Räumen mit akustischen Mitteln. Bereitwillig gibt er deshalb Auskunft auf Fragen nach dem Material, listet Zahlen und Programmierungen auf, nach denen die Sounds per Computer generiert werden. Als der „Ton-Raum“ damals installiert wurde, musste noch jede Lautstärkeschwankung mit dem Commodore C 64 eingegeben werden. Erst durch die technischen Neuerungen der letzten Jahre ist das System so perfekt geworden, dass die Anlage den architektonischen Raum akustisch exakt markieren kann: Jetzt raschelt ein Maisfeld in der Tiefe, plätschert Wasser virtuell die Wände hinab.

Nur bei der Hörprobe ist Leitner enttäuscht, weil zu viele Leute gekommen sind. Lieber wären ihm bloß 20 Besucher gewesen, denn „die Arbeit ist gar nicht für so ein großes Publikum konzipiert“. Genau genommen funktioniert Sound ja ohnehin nur für jeden einzeln, zwischen den eigenen Ohren. Das kann man nicht nur an den detaillierten Konstruktionszeichnungen zum „Ton-Raum“ ablesen, die derzeit bei Gelbe Musik zu sehen sind.

Für die Ausstellung hat Leitner, der Mediengestaltung an der Wiener Kunstakademie unterrichtet, einen zusätzlichen CD-Player installiert, mit nur einem Paar Kopfhörer. Die dazugehörigen Soundaufnahmen sind als „Kopfräume“ betitelt, weil sich die Kompositionen aus elektronisch bearbeiteten Klängen nicht außen im Raum entfalten, sondern über die Schaltungen der Synapsen im Gehirn: Eine tiefe Trommel wandert scheinbar vom linken Ohr aus an den Schädel hoch, verharrt ein wenig in der Mitte und verschwindet rechts außen – so jedenfalls werden die Stücke unter dem Kopfhörer wahrgenommen. Das ist mehr als bloßer Stereoeffekt, es ist ein dreidimensionales Experiment, bei dem Klang sich im Kopf ausweitet und beinahe physische Realität annimmt.

Für den Bonner Neurologen Detlef Linke entsteht damit ein nicht minder aufregendes philosophisches Problem, das er im begleitenden Text zur CD beschreibt: Offenbar herrscht Leere im Hirn. Wenn der Sound dort so viel Platz einnehmen kann, wo sind dann aber die Gedanken, wo gar die Seele oder das Ich?

Leitner meint es ernst mit solchen Paradoxien, die entstehen, wenn Klang und Mensch zusammenstoßen. In seinen Aufzeichnungen von 1975 heißt es dann: „Der enge Vertikal-Raum steigt durch den Brustkorb auf. Ton senkt sich durch den Oberkörper wieder zu Boden. Hören mit Rücken und Brust.“ Zu dieser Zeit hat er auch den „Ton-Anzug“ entwickelt, der in der Galerie an der Wand hängt: ein olivgrüner Overall, mit einer Art weißem Tarnnetz aus quadratischen Rastern überzogen. An mehreren Stellen ist das Kleidungsstück mit Plexiglasglocken und kleinen 10-Watt-Lautsprechern verschweißt, aus denen kaum hörbar eine knisternde Frequenzcollage dringt. So sollte der Klang am Körper getestet werden, als sanfte Schwingung der Oberfläche, die je nach Tonhöhe mal in die Knochen oder gleich ins Mark geht.

Auf House-Partys dürfte der extravagante Techno-Dress auch heute noch für ziemliche Aufmerksamkeit sorgen. Doch serienmäßig ist der „Ton-Anzug“ niemals hergestellt worden, Leitner hat sich mit zwei Prototypen begnügt. Darin ist er bei allem wissenschaftlichen Interesse dann doch ganz Künstler und verspielter Soundcouturier geblieben.

Bis 8. 5., Di.–Fr. 13–18 Uhr, Sa. 11–14 Uhr, Gelbe Musik, Schaperstraße 11, 10719 Berlin