100.000 gegen irgendwen

Veranstalter rechnen am Samstag mit größter Demonstration gegen Sozialabbau. Nur an wen der Protest sich richtet, ist offen. Erst kurz vor der Demo kommt Gewerkschaftskritik an Rot-Grün

VON FELIX LEE

Großflächige Demo-Plakate auf Werbeflächen in allen U-Bahn-Stationen – das sehen Berliner nicht häufig. Und wenn, dann trieft der schlecht dosierte Kleister schmierig vom Plakatrand und schief hängen die Poster in der Regel auch. Zu mehr bringen es die subversiven Plakatierer einfach nicht. Doch dieses Mal kleben die Plakate anders: Fein säuberlich, in Hochglanz und auf jeder zweiten Werbefläche. „Aufstehn, damit es endlich besser wird“, lautet der Schlachtruf der Großdemonstration am 3. April, zu dem neben Sozialinitiativen, Globalisierungskritikern, PDS, Grüner Jugend und anderen linken Gruppen vor allem auch die großen Gewerkschaften aufrufen. Ist halt doch ein anderes Kaliber, wenn der DGB an der Mobilisierung beteiligt ist.

In seltener Eintracht bereiten sich seit Monaten außerparlamentarische Initiativen, die Gewerkschaften und andere Gruppen auf den europaweiten „Aktionstag gegen Sozialabbau“ vor. Der Mitveranstalter Attac rechnet bereits mit den „größten Protesten zu sozialer Gerechtigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik“. Das müssten bundesweit dann weit über 300.000 Menschen sein – so viele protestierten 1997 in Bonn gegen den Sozialraub der Kohl-Regierung.

Bis hinauf zur obersten Führungsetage tragen die DGB-Gewerkschaften den Aktionstag mit und haben allein in Norddeutschland mehr als 1.500 Busse zur kostenlosen Fahrt nach Berlin zur Verfügung gestellt.

Doch so reibungslos die Mobilisierung in der Endphase läuft – gerade die Vertreter der sozialen Bewegungen waren über die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftern nicht immer glücklich. Gab es innerhalb des DGB besonders auf Bundesebene Stimmen, die Vertreter von Attac und links davon nicht mal im gemeinsamen Vorbereitungsbündnis sitzen sehen wollten, war die Berliner Vorbereitung etwas weniger konfliktbeladen. Gestritten wurde hier um die Route, die Anfangszeit und das Kulturprogramm – die Prinzen und Heinz-Rudolf Kunze kamen den meist jüngeren Attac-Aktivisten ein wenig zu altbacken vor. Bei den beiden erst genannten Punkten konnten sich die Sozialinitiativen durchsetzen, beim Kulturprogramm die Gewerkschaften.

Viel mehr ins Gewicht fiel die Diskussion, wie kämpferisch das Gesamtbild des Aktionstages zu sein habe. Richtet sich der Protest der sozialen Bewegungen konkret gegen die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung und den rot-roten Spar-Senat, wehren sich die Gewerkschafter lediglich gegen die europaweite „Umverteilung von unten nach oben“. Im Aufruf des DGB kommt das Wort Bundesregierung nicht vor.

Sascha Kimpel vom Berliner Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub monierte noch im Februar, dass sich der DGB anfangs mit 50.000 Demonstranten zufrieden geben wollte. Kimpel sah am 3. April bereits eine langweilige Steh-Kundgebung vor sich, bei der Attac und die anderen sozial Bewegten nur noch zum „Beiwerk für die Applausveranstaltung“ missbraucht würden. „Null Bewegung, null Kampf“, mindestens 200.000 seien drin, glaubt Kimpel – und könnte Recht bekommen. Selbst die Polizei rechnet inzwischen mit mindestens 100.000 Teilnehmern und bittet Autofahrer darum, den Innenstadtbereich am Samstag weiträumig zu umfahren.

Der DGB will sich im Vorfeld nicht an Zahlenspekulationen beteiligen, aber auch Berit Schröder von der IG-BAU-Jugend rechnet mit einer großen Beteiligung – und so mit „einem klaren Signal gegen die rot-grüne Regierungspolitik“. Und somit ist sie doch noch gekommen: die Gewerkschaftsschelte an Rot-Grün.