: Vorspiel zum drohenden Absturz
In NRW liebäugelt Peer Steinbrück (SPD) mit Rot-Gelb, um Wahldebakel abzuwenden
KÖLN taz ■ Es wird eine schöne Feier werden in der „Alten Schmiede“ in Dortmund. Dort, wo sich zu Zeiten Herbert Wehners die „Herzkammer der deutschen Sozialdemokratie“ befand, werden die Ruhrpott-Genossen heute Abend ihren 140. Geburtstag feiern und den schönen Geschichten aus der guten, alten Zeit lauschen. Aus der Zeit, als sie noch die Faust in die Höhe streckten, die sie heute in der Tasche ballen. Und aus der Zeit, als es noch keine Grünen gab.
Den Genossen in ihrem einstigen Stammland geht es schlecht. Katastrophale Umfragewerte; eine Parteiführung, die aufgezehrt wirkt, ein Koalitionspartner, den sie nie gewollt haben, und ein Ministerpräsident, der nicht nur wegen seines hanseatischen Dialekts ihre Sprache nicht spricht. Bei der SPD geht die Angst um: 2004 stehen die Kommunal-, 2005 die Landtagswahlen ins Haus. Der Absturz ins Bodenlose droht.
Seit 1966 regieren die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr – zunächst mit der FDP, dann alleine und seit 1995 mit den Grünen. Den damaligen Verlust ihrer absoluten Mehrheit nach fünfzehnjähriger Alleinherrschaft empfanden die Genossen als eine temporäre Verirrung der Wähler. Entsprechend war das Bündnis mit der Öko-Partei für sie von Anfang an nur ein notwendiges Übel. Als Mehrheitsbeschaffer waren Höhn, Vesper & Co. geduldet, als politische Partner wurden sie indes nicht gesehen. Permanente Konflikte waren so programmiert.
Dass Rot-Grün nicht schon in der ersten Periode zerbrach, lag an drei Faktoren: Erstens sollte die rot-grüne Perspektive im Bund nicht desavouiert werden; zweitens gab es wegen der im Landtag fehlenden FDP keine Wechseloption; drittens war die Landeskoalition durch eine Reihe in der Regel gut funktionierender rot-grüner Bündnisse jenseits des Ruhrgebiets flankiert, so in Aachen, Bonn, Bielefeld oder Münster. Davon ist kaum etwas übrig geblieben. Bei den Kommunalwahlen 1999 eroberte die CDU die meisten Rathäuser, seit der Landtagswahl 2000 steht die FDP wieder Gewehr bei Fuß, und die Berliner Karte scheint besonders bei Peer Steinbrück nicht mehr richtig trumpfen zu können.
So spielt der Ministerpräsident inzwischen immer offener mit dem Gedanken einer Koalition mit der FDP. Für Steinbrück geht es ums politische Überleben, die Hoffnung auf eine zweite Chance hätte er im Falle einer Niederlage 2005 nicht. Da wäre schon der in der Partei und laut Umfragen auch bei den Wählern wesentlich beliebtere SPD-Landeschef Harald Schartau vor. Der hingegen dürfte die letzte Hoffnung für Rot-Grün sein: Als Parteisoldat hat er auch die Berliner Perspektive im Auge, wirbt für eine Fortsetzung des Bündnisses: „Ich sage meinen Parteifreunden, die hier und da von Koalitionswechsel reden, immer wieder: Denkt daran, der nächste Zahnarzt hat auch einen Bohrer.“
PASCAL BEUCKER