tempelhof vor gericht
: Springer verteilt wieder Munition

Eisern harrt das Häuflein Aktivisten vor dem Gebäude des Oberverwaltungsgerichts in Charlottenburg aus. „Neues Volksbegehren für Tempelhof!“, rufen sie Passanten und Besuchern des Gerichts auf einem sichtraubenden Plakat entgegen. „12.000 Unterschriften innerhalb weniger Tage sprechen für sich!“ Es nieselt, der Himmel ist grau, die Sicht diesig. „Ist die Morgenpost schon weg? ‚TV Berlin‘ auch? Sicher?“, fragt ein älterer Herr mit gehörigem Bauchumfang einen der Plakathalter. Der nickt, ja, alle weg. „Dann können wir zusammenpacken.“ Das Grüpplein rollt das Transparent ein und trollt sich in Richtung Bahnhof Zoo.

Hauptsache, Springers Morgenpost ist dagewesen, sie hat ja schon so gut zugearbeitet für diesen wichtigen Gerichtstermin am Mittwochmorgen. Just an dem Tag, als die letzten zwei Verfahren zum Flughafen Tempelhof vor dem Oberverwaltungsgericht entschieden werden sollen, berichtet die Pro-Tempelhof-Postille auf der ersten Seite von einem bösartigen Gutachten über den Flughafen Tegel – aus dem Jahr 2005. Ein Ingenieurbüro habe festgestellt, dass unter und neben den Start- und Landebahnen Munition aus dem Zweiten Weltkrieg liegt. Die Gutachter schlossen damals nicht aus, dass die detonieren könnte, falls sich ein verunglücktes Flugzeug neben der Rollbahn in die Erde bohrt. Kurzum: Tegel ist für Reisende lebensgefährlich.

Maßlos übertrieben, weder neu noch irgendwann geheim gewesen, reagiert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zwar schnell – an Pro-Tempelhof-Kläger Wolfgang Przewieslik geht das aber vorbei. Er will sein Recht auf körperliche Unversehrtheit einklagen. Tegel sei als Flughafen viel zu chaotisch, überlastet und gefährlich, daher müsse Tempelhof offenbleiben, so seine Argumentation. Ein altes Gutachten, neu aufgelegt von der Morgenpost, kommt da gerade recht. Verunglückte Flugzeuge bohren sich in Weltkriegs-Munition! (Dass die Erstgefahr für den Passagier im Verunglücken eines Flugzeugs liegt – so tief gehen die Diskussionen im Gericht nicht.)

Während Przewieslik auf die Entscheidung des Vorsitzenden Richters Jürgen Kipp wartet, gibt er bereitwillig Interviews. Sein Anwalt Claus-Peter Martens auch. Es sieht nicht gut aus für die beiden. Die zweite Klägerpartei, die Initiative Icat, ist nicht erschienen. Der Richter hat von Anfang an klar gemacht, dass er für eine Klage kaum eine Grundlage sieht. Trotzdem: „Der Strohhalm ist gar nicht so dünn“, sagt Martens trotzig. Er fährt seine Geschütze auf: „Möglicherweise bleibt uns nur der Gang vor das Bundesverfassungsgericht!“ Die Kameras surren, die Reporter (nicht nur von der Morgenpost) schreiben mit. Dann sickert die Nachricht durch, dass eine Flugschule einen Antrag zum Weiterbetrieb von Tempelhof eingereicht hat. „Wir sind nicht allein“, sagt Przewieslik.

Doch Richter Kipp macht es kurz: beide Klagen abgewiesen, keine Revision zugelassen. Was ist mit dem Recht auf Mobilität, das Przewieslik in Tegel nicht hinreichend bedient sieht? „Da müsste der Berliner, der jeden Morgen auf der Stadtautobahn im Stau steht, ja das Recht haben zu klagen, dass die Autobahn zehnspurig ausgebaut wird“, sagt Kipp. Die Journalisten gehen zügig, kaum einer will mehr etwas wissen vom Kläger. Die Fernsehkameras sind abgebaut. Ob der Morgenpost-Reporter bei den Aktivisten draußen vorbeischaut, ist nicht bekannt. KRISTINA PEZZEI