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Archiv-Artikel

Back dir ‘nen Grönemeyer

Die Gefühle haben sich gedreht: Zum ersten Mal präsentiert die ARD in einer konzertierten Aktion ihrer TV- und Radiosender die Tournee eines Popmusikers. Und dampft dafür den „Rockpalast“ ein

aus Berlin GUNNAR LEUE

Als kürzlich Büchners „Leonce und Lena“ am Berliner Ensemble aufgeführt wurde, berichteten auch die „Tagesthemen“ darüber. Die Musik stammte schließlich von einem gewissen Herbert Grönemeyer. Und der kann momentan machen, was er will, er landet immer im Fernsehen – am häufigsten in der ARD. Selbst als sich „Report“ aus Mainz vor einiger Zeit mit der anschwellenden Schlussstrichmentalität der Studenten in Bezug auf die deutsche Nazi-Vergangenheit befasste, trat der Exstudent der Rechts- und Musikwissenschaften als Mahner auf.

Vielleicht war auch das einer jener Synergieeffekte, von denen ARD-Marketingmann Dietmar Pretzsch sprach, als er vor einem Jahr die temporäre Partnerschaft von Deutschlands größtem Pophelden und Deutschlands größter Sendeanstalt verkündete. Der „ganze ARD-Laden in geschlossener Form“, vom Internetportal bis zum hauseigenen Boulevardmagazin „Brisant“, sollte zur Cross-Promotion genutzt werden. Als Gegenleistung erhoffte man sich schon damals ganz unbescheiden einen hübschen „Imagegewinn“.

Es ist das erste Mal, dass die ARD in einer konzertierten Aktion ihrer Fernseh- und Radiosender die Tournee eines Popmusikers präsentiert. Von Beginn an mühten sich die ARD-Popwellen von EinsLive (WDR) bis Jump (MDR), die Hörerschaft fleißig mit Songs und News von Grönemeyer zu bedienen, während das Fernsehen den visuellen Rest dazu lieferte. Höhepunkt während des ersten Teils der Tour im Herbst war die TV-Aufzeichnung des Kölner Konzerts. Nun geht die Konzertreise in die zweite, die Open-Air-Runde – und der Traum für die ARD weiter. Ob Gebührenzahler oder -verweigerer, am (relativ preiswerten) Ticket für ein Grönemeyer-Konzert mögen hunderttausende Deutsche nicht sparen.

Wünsch dir was

Dank „Mensch“, dem meistverkauften Album eines deutschen Künstlers, scheint die extensive Präsentation des Sängers allerdings kaum mehr notwendig. Und es war ohnehin nicht so, dass sich die ARD sehr intensiv um den Sänger bemüht hätte. Eher musste sie zum Jagen getragen werden: Herbert Grönemeyer selbst wünschte sich die Kooperation mit der ARD – und zwar nur mit ihr. Grund seien die guten Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit SWR 3 gewesen, sagt Bernd Mohrhoff, der als Event-Redakteur bei dem Sender unter anderem für das SWR 3 New Popfestival zuständig ist. Im Laufe der Jahre hätten sich „fast freundschaftliche Bande“ zwischen dem Sender und dem Sänger herausgebildet.

Für die ARD ist die Kooperation mit dem 47-Jährigen insofern ein Glücksfall, als sie mit ihm den derzeit wohl einzigen über alle Altersklassen vermittelbaren Popbarden zum Mitspieler bekam. Oder wie Dietmar Pretzsch, zuständig fürs Marketing bei ARD-Fernsehen, schon zu Beginn der Sänger-Sender-Connection sagte: „Grönemeyer ist genau die Idealbesetzung für uns. Wenn man ihn backen müsste, wäre er so, wie er wirklich ist.“ Das darf man ihm glauben, denn der Altersschnitt der ARD-Zuschauer liegt bei 58 Jahren und damit erheblich über dem der Grönemeyer-Fans. Die Tournee, bisher die umfangreichste und aufwändigste des Musikers, sieht Pretzsch quasi rechtmäßig bei seiner Anstalt angeschlossen: „So ein gigantisches Projekt gehört in die erste Reihe.“

Und der Erfolg macht Lust auf mehr. Bernd Mohrhoff, der sich schon in der Vergangenheit mehr solcher Kooperationen gewünscht hätte, blickt „jetzt vielen neuen Projekten mit großer Hoffnung entgegen“. Denn der Hörfunkkoordinator in Sachen Grönemeyer sieht seine Erwartungen voll erfüllt.

Paukenschlag

„Gleich mit dem ersten Projekt haben wir einen Paukenschlag gesetzt. Es war ein Versuchsballon, und ich bin überzeugt, dass wir noch weitere Ballons fliegen lassen werden.“ Morhoff hofft, dass die Tourveranstalter künftig wohl öfter anklopfen werden. Und ganz nebenbei hätte die reibungslos funktionierende Kampagne der oft als schwerfällig geltenden ARD intern gezeigt: „Es geht, wenn wir wollen.“

Doch während sich so möglicherweise eine neue Pop-Leidenschaft der ARD entwickelt, werden an anderer Stelle gerade Rockfans verprellt. Der WDR-„Rockpalast“ wurde derart gestutzt, dass eigens eine Fan-Initiative (www.rettet-rockpalast.de) versucht, die legendären Live-Rocknächte auf den Bildschirm zurückzuholen. Bands wie Guano Apes und BAP schickten bereits solidarische Grüße. Fehlt jetzt nur noch ein gutes Wort von – Herbert Grönemeyer.