: All Tomorrows Parties
Über die Langeweile und den Mut, die Langeweile auszuhalten: „231, East 47th Street“ in den Sophiensælen, eine Hommage an Andy Warhol, erzählt die kurze Geschichte der Geburt von Pop so sanft und entspannt wie in Zeitlupe
Der Raum ist dunkel und weit. Eine Wand aus Spiegeln, eine Couch, die aus Ledergürteln geflochten ist, ein vergittertes Badezimmer und ein Bett bilden vier Inseln in diesem Saal, vom Publikum vorsichtig umkreist. Im Bett liegt ein Liebespaar, im Bad stehen zwei Männer, auf der Couch sitzt eine Diva mit hochtoupiertem Haar, Männer und Frauen posieren lasziv vor den Spiegeln. Lebende Bilder, immer wieder eingefroren wie Skulpturen, die Haut sorgfältig gepudert.
So beginnt die Performance „231, East 47th Street“, die ihren Namen nach der Adresse der legendären Factory von Andy Warhol hat.
Das Bühnenbild stammt von der bildenden Künstlerin Monica Bonvicini, das Konzept von Ulrich Rasche. Zusammen mit fünf Schauspielern und vier Tänzern holen sie die Zeit von legendären Partys zurück, als die Veröffentlichung des Sex einen Angriff auf die bis dahin gepflegten Grenzen des Privaten und des Öffentlichen und damit auf die Begriffe von Wahrheit und Politik bedeutete. Inszeniert aber wird das nicht im Gestus des Aufruhrs und nicht mit Trash beladen: Diese abgenutzten Klischees des Pop bleiben diesmal außen vor.
Stattdessen sinkt man allmählich in diese Inszenierung ein wie in einen sanften Traum, treibend zwischen Sätzen und Bildern, die manchmal Sinn machen, manchmal nicht, manchmal Wiedererkennung erzeugen, manchmal überraschen. Geräusche lösen sich von ihrem Ursprung, Körper bewegen sich in Zeitlupe, Distanzen verschieben sich. Die Dialoge, die sich auf den einzeln Inseln entspinnen, sind aus Lautsprechern zu hören. Szenen und Texte entkoppeln sich. Das Publikum, anfangs bemüht, nichts zu verpassen, wird langsamer und sinkt immer öfter auf den Teppich herab. Die Dialoge wiederholen sich.
Es geht in den Gesprächen zum Beispiel um die Langeweile und den Mut, lieber die Langeweile auszuhalten, als in den Vietnamkrieg zu ziehen, um etwas zu erleben. „In den Krieg zu ziehen ist Verschwendung“, sagt die Frau. Ihr Ton ist faul und entspannt, die Verliebten massieren sich Füße und Schultern und rauchen, während sie über Wahlkampf, Atomwaffen, Umweltzerstörung und Angriffe von Insekten reden. Bei den beiden Boys im Bad, die ihre makellosen Körper in gedehnten Bewegungen pflegen, kreist der Dialog um Prostitution und die Forderung, Begehren und Erfüllung wie Angebot und Nachfrage zu betrachten. All das sind Warhol-Zitate und Paraphrasen, herausgebrochen aus seinem Buch „From A to B and Back Again – The Philosophy of Andy Warhol“, die jetzt plötzlich wie ein Vorläufer der Pollesch-Sprache wirken.
Die absurdesten Sätze formt die Diva, festgezurrt in den Konturen ihrer schwarzen Haare und ihres weißen Kleides. Mit welcher Akribie sie den Kampf gegen Staubkörner beschreibt, von denen schon eines zu viel die Balance eines ganzen Tages gefährden kann, lässt ahnen, welche Kraftanstrengung jede Lebensäußerung von ihr fordert. Eine winzige Szene nur, in der sich Hysterie mit Lähmung paart. Die Tänzer arrangieren derweil ihre Körper in Bildern erotischer Herausforderung, die aber wie mit der Schere zerschnitten weit über den Saal verstreut sind.
Am Ende der Vorstellung hat sich fast alles einmal verändert und einmal wiederholt. Man fühlt sich wie nach einer Reihe von ununterscheidbar gewordenen Partybesuchen: Als hätte die Erde sich einmal um sich selbst gedreht, als wäre die Revolution erfunden und wieder vergessen worden, als hätte der Hunger nach Sex einmal alle anderen Gedanken weggespült, um dann selbst ins Nichts zu zerfließen. Dabei hat die Performance in den Sophiensælen gerade mal sechzig Minuten gedauert.
KATRIN BETTINA MÜLLER
6. –11. April, jeweils 20 und 21.30 Uhr, Sophiensæle, Sophienstr. 18, Mitte