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Archiv-Artikel

BUNDESBANKER WELTEKE FEHLTE FINGERSPITZENGEFÜHL – MEHR NICHT Durch Empörung zur Groteske

Es hätte guten Grund gegeben, sich über Ernst Weltekes Kurzurlaub im noblen Berliner Adlon aufzuregen: dann, wenn der Steuerzahler den Ausflug des Bundesbankchefs hätte bezahlen müssen. Aber es war ja anders: Die Dresdner Bank hat eingeladen. Als politischem Beamten bringt das Welteke zwar möglicherweise zu Recht ein Verfahren wegen Vorteilsnahme ein – aber ein Grund für das Ausmaß der jetzigen Aufregung ist das nicht. Auch nicht für einen Rücktritt. Denn niemand erhebt den Verdacht, die schönen Tage und Nächte in der Luxussuite hätten den Bundesbank-Chef zu einer etwaigen Gegenleistung, sprich: einer Vorteilsgewährung, gegenüber der Privatbank veranlasst. Erst das jedoch wäre tatsächlich ein Skandal.

Welteke kann mangelndes Fingerspitzengefühl vorgeworfen werden. Aber das gilt dann ebenso für Hans Eichel, Jörg Schönbohm und zahlreiche Abgeordnete, die auch gerne mit der Dresdner Bank jenes Silvester am Brandenburger Tor feierten. Auch sie ließen es sich seinerzeit auf Kosten und zum medienwirksamen Nutzen der gastgebenden Bank bei Champagner und Sevruga-Kaviar gut gehen. Aber das ist eben nichts Außergewöhnliches. Die Grenzen zwischen „Wirtschaftsförderung“ und Vorteilsnahme sind fließend. Soll wirklich der tief greifende Unterschied zwischen ihnen und Welteke darin bestehen, dass sie nachher nach Hause gingen und Welteke blieb?

In Zeiten von Praxisgebühren, Renten- und Sozialkürzungen ist es leicht, Empörungsstürme über die Luxusgelüste von Repräsentanten der Bundesrepublik zu entfachen. Aber das ist nichts als eine wohlfeile Aktivierung von Sozialneidreflexen. Die erstaunliche Unbekümmertheit, mit der sich der Sozialdemokrat ins Adlon einladen ließ, erinnert an seinen Parteigenossen Gerhard Glogowski. Dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten war 1999 aber eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten vorgeworfen worden, die zu seinem Rücktritt führten.

Nun zahlt die öffentliche Hand die Hälfte der Rechnung, und die Dresdner Bank bekommt ihr Geld zurück – ausgerechnet. So wird der Vorgang nicht zum Skandal, sondern zur Groteske. Aber einen Rücktritt ist das nicht wert. PASCAL BEUCKER