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Archiv-Artikel

De-facto-Anerkennung des Angriffs

Kein Staat will bisher die Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges sowie die Zulässigkeit von Präventivkriegen vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag klären lassen

BERLIN taz ■ Interessiert sich noch jemand für die Frage, ob der Irakkrieg völkerrechtswidrig war? In der internationalen Politik wird „nach vorne geschaut“, doch die Internationalen Juristen gegen Atomwaffen (Ialana) lassen nicht locker. Sie fordern weiterhin ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag zum Irakkrieg. Die UN-Richter sollen dabei nicht nur die Völkerrechtswidrigkeit der anglobritischen Invasion prüfen, sondern generell die Zulässigkeit von „Präventivkriegen“ nach der neuen US-Militärdoktrin.

Ein solches Rechtsgutachten könnte von der im Herbst tagenden UN-Generalversammlung angefordert werden. Und vor zwei Monaten, während des Krieges, war die von Ialana aufgebrachte Idee auch populär. Doch Voraussetzung für eine Abstimmung in New York wäre, dass zumindest eine Regierung den Antrag stellt. Bislang ist aber keine dazu bereit. Auch die Bundesregierung will sich nicht für ein solches Gutachten einsetzen. „Für uns hat derzeit die Schaffung einer Friedensordnung im Irak und der Region Priorität“, heißt es im Auswärtigen Amt.

Damit ergeht es der Initiative wie einer anderen Idee, die während des Irakkriegs aufkam. Das US-amerikanische Center for Constitutional Rights schlug damals vor, die Generalversammlung solle zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um den Abzug der US-Truppen zu fordern. Solche unverbindlichen, aber politisch bedeutsamen „Uniting for peace“-Resolutionen haben in der Geschichte der UN eine lange Tradition in Fällen, in denen der Sicherheitsrat durch ein Veto blockiert ist.

Doch auch hier fand sich keine einzige Regierung, die auch nur den Antrag auf eine Sondersitzung gestellt hätte. Nicht einmal die islamischen oder die blockfreien Staaten, die mit der Idee geliebäugelt hatten, wagten den Schritt. Die USA hatten im Vorfeld ensprechenden diplomatischen Druck ausgeübt.

Ist damit das US-Präventivkriegskonzept international etabliert? Der Frankfurter Völkerrechtler Michael Bothe sieht nicht so schwarz. „Offiziell war der Irakkrieg kein Präventivkrieg. In ihren Schreiben an den UN-Sicherheitsrat haben sich die USA auf die UN-Resolutionen von 1990 berufen. Diese seien wieder aufgelebt, nachdem der Irak die vollständige ABC-Abrüstung verweigerte.“ Bothe lehnt diese Argumentation zwar ab, zeigt sich ansonsten aber beruhigt. „Der Irakkrieg ist damit kein Präzedenzfall für das neue US-Konzept.“

Auch die jüngste UN-Resolution vom 22. Mai sieht Bothe nicht als völkerrechtliche Anerkennung der Invasion. „Zur Vorgeschichte der Besatzung wird hier weder positiv noch negativ Stellung genommen“, sagt Bothe. „Es werden vor allem die Pflichten festgestellt, die eine Besatzungsmacht nach dem Völkerrecht ohnehin hat, etwa für Sicherheit und die Versorgung der Bevölkerung zu sorgen.“

CHRISTIAN RATH