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Archiv-Artikel

Wir trinken Jägermeister, weil wir halbbetrunken und halbnackt sind

Ja, ist denn hier jetzt auch Kirchentag? Nein. Auf den durchaus dämlich zu nennenden Hüten der meisten TeilnehmerInnen steht „Jägermeister“, nicht „Jesus“. Das Happening zwischen Push-Up und Puschkin, wobei nicht der Dichter, sondern der am Samstag intensivst beworbene Wodka gemeint ist, heißt trotzdem nach wie vor G-Move, nicht J-Move. Obwohl das Jägermeister-Team sich alle Mühe gibt, den Zug von knapp 70.000 RaverInnen flächendeckend mit den orangefarbenen Kopfbedeckungen zu bepflastern. Nur 70.000, muss man sagen – 250.000 waren bei dem Sonnenwetter am Samstag erwartet worden. Dafür werden die TeilnehmerInnen von Jahr zu Jahr jünger: Die Pubertät, die innerhalb der Woche in Buchholz/Nordheide oder Winsen/Luhe verbracht wird, darf sich an diesem Wochenende zwischen Reeperbahn und Hafen ausleben. „Hey, geil, wird sind hier in Hamburg, 20 Trucks und fast nur halbnackte Weiber“, schreit einer sein junges Glück ins Handy, um die daheim gebliebenen Kumpels auf den aktuellen Stand zu bringen. Glitzer-Bikinis, Fellstulpen, Röcke, an denen nichts mehr zu kürzen ist, na, klar – und trotzdem ist dies eine der asexuellsten Veranstaltungen der Saison, das Jahrestreffen der Rührmichnichtans. Sex wird hier als mögliche Projektionsfläche nur zelebriert und von der Partydrinkbranche befeuert, aber nicht gemacht. Hier haben schließlich diejenigen Spaß, die außer sprießendem Busen und Bartflaum noch nicht viel im Leben auf den Weg gebracht haben – was ja im Grunde beneidenswert ist. Wenn nur nicht alles voller Jungsgesichter wäre, in denen sich Härte und Leere die Waage halten. Und alles nuckelt selbstverständlich am Bacardi Rigo, maximal 5,4 Volumenprozent Alkohol, weil es ja gemeinhin als Kultgetränk gilt. Über den Truck der Jungen Union „Politik braucht Nachwuchs: Party und Politik“, wie in jedem Jahr mit dabei, muss man auch nicht mehr viele Worte verlieren. Die Jugendkultur der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat am Samstag noch einmal ihren Feiertag, und die Trillerpfeife zum Ereignis ist für zwei Euro zu haben. PETER AHRENS / Foto: STEFFEN KUGLER