: berliner szenen Ein einfaches Leben
Schöner Stillstand
Als freier Schreiber und Alleinwohner sitzt man immer am Computer im Zimmer und schreibt auf, wie es ist, am Computer im Zimmer zu sitzen. Ein Beckett’scher Lebensentwurf sozusagen, in dem die Hände das aufschreiben, was die Hände tun und die Augen auf den Bildschirm starren, in dem steht, wie das Leben grad so war, während der Kopf immer daran denken muss, wie die Zeit vergeht.
Manchmal hat man das Gefühl, die Zeit würde Geräuschandeutungen machen bei ihrem Vergehen. Man rhythmisiert die Zeit durch E-Mail-Nachgucken, Computerspielautofahren und entschlossenes Rauchen. Um Bodenhaftung und Street-Credibility zu bewahren, reißt man sich zuweilen kleine Hautstückchen aus dem Nagelbett; oder wirft auch einen brasilianisch gefärbten Gummiball an die Wand, um die so genannten Gedanken zum Schweigen zu bringen.
Ab und an steht man auch auf, räumt die Blumentöpfe von der Fensterbank, öffnet das Fenster und gießt die Pflanzen im Blumenkasten. Interessant, interessant! Ein Samenkorn war vor zwei Jahren zufällig in den Blumenkasten geflogen. Nun ist es schon ein richtiger kleiner Baum. Etwa einmal in der Woche kommt ein kleiner Vogel zu Besuch, setzt sich neben die Pflanzen, die laut Packungsbeilage im Juni blühen werden, und pickt in dem Blumenkasten herum. Der kommt schon seit Jahren. Das ist schön. Man muss ganz still bleiben, sonst fliegt er gleich wieder weg. So bartlebylisiert man sich gebildet durchs Leben und steht manchmal auch am Fenster, um anderen Freibeschäftigten in den Zimmern auf der anderen Seite der Straße zuzugucken, wie sie an ihren Computern sitzen und ein ähnliches Leben voller Einfachheit und Schönheit führen.
DETLEF KUHLBRODT