Zurück aus der Galaxis

Nach dem Champions-League-Aus von Real Madrid muss sich Präsident Pérez fragen lassen, ob das Konzept seiner Wunderelf überhaupt funktionieren kann. Trainer Queiroz scheint das nicht zu glauben

AUS MONACO RONALD RENG

Erst haben sie ihn getreten, dann geküsst, und es ist schwer zu sagen, was Raúl mehr wehtat. Denn als ihn ein Gegenspieler kurz vor Spielende brachial foulte, konnte der Mannschaftskapitän des spanischen Meisters Real Madrid wieder aufstehen und weiterspielen. Als ihn aber Didier Deschamps, der Trainer des AS Monaco, im Kabinentrakt schnappte und ihm einen Kuss auf jede Wange drückte, konnte das Raúl nur noch hinnehmen und gehen. Die Abschiedsküsse waren nett gemeint, aber sie hatten etwas Demütigendes: Der Sieger gab dem Verlierer auch noch ein bisschen Mitleid mit auf den Weg.

Mitleid mit Real Madrid zu haben, ist ein Luxus, in dessen Genuss nicht viele Teams kommen. Doch am Dienstag im Stadion Louis II. in Monaco schuf der Europacup wieder einmal eine jener Nächte, aus denen Legenden werden. Noch weit nach Mitternacht, Stunden nachdem der AS Monaco im Champions-League-Viertelfinale mit einem 3:1-Sieg die erste Wunderelf des 21. Jahrhunderts aus dem Rennen geworfen hatte, standen überall im kleinen Fürstentum noch Leute auf den Straßen zusammen und erzählten es sich aufgeregt noch mal, weil sie es dann vielleicht besser glauben konnten: Mit der Hacke, doch, wirklich, mit der Hacke hatte Monacos Inspiration, Ludovic Guily, das entscheidende 3:1 geschossen. Schon sein satter Volleyschuss, mit dem er Raúls Führungstor ausglich, war die Pracht, das ganze Spiel ein einziger sonniger Frühling – Monacos Trainer klang auch nicht anders als die Fans: „In neun von zehn Spielen würden wir gegen Real verlieren, ganz sicher“, sagte Deschamps, „aber heute Nacht, einmal, waren wir Kleinen die Großen.“

Von Teams, die einmal ganz hell leuchten und nie wieder kommen, gibt es einige: Dynamo Kiew 1999 zum Beispiel oder Bayer Leverkusen, das 2002 sogar das Finale erreichte. Und jedes Mal, wenn solch ein Außenseiter dann wieder in der zweiten Reihe verschwindet, bricht Wehmut aus, die Champions League sei eine geschlossene Gesellschaft der Superreichen wie AC Mailand, ManU oder Real geworden. Doch Leverkusen lebt: Mal heißt es FC Porto, nun AS Monaco – der liebenswerte Underdog erschafft sich immer wieder neu. Monaco hat auch im Halbfinale gegen den FC Chelsea keine schlechten Chancen; es gibt nichts, was einer Elf nicht möglich sein sollte, die Real so gewöhnlich aussehen ließ.

Zirka 15-mal in zehn Minuten sagte Madrids Trainer Carlos Queiroz später, er müsse Monaco gratulieren, ehe er endete: „Das Wichtigste ist jetzt nicht zu reden, sondern Monaco zu gratulieren“, was ungefähr die Achtung vor dem schnellen, schnörkellosen Passspiel des Ersten der französischen Liga erahnen ließ – was aber natürlich auch Queiroz’ Nervosität verdeutlichte. Real liegt zwar immer noch einen Punkt vor Valencia an der Spitze der spanischen Meisterschaft, aber den Eindruck, dass dies die versprochene Wahnsinnssaison ist, wird der erfolgreichste Verein der Welt nach Niederlagen gegen das bescheidene Saragossa im nationalen Cup-Finale und dem erstmaligen Nichterreichen des Champions-League-Halbfinals in fünf Jahren nur noch schwer hinkriegen.

Als der exzellente Fernando Morrientes das 2:1 für Monaco erzielte, erlebte das Konzept von Präsident Florentino Pérez, ausschließlich auf absolute Stars wie Zinedine Zidane sowie Spieler aus der Nachwuchsakademie des Vereins zu setzen, seinen Bankrott. „Es tat ein bisschen weh“, sagte Morientes über sein Tor. Denn er ist Madridista, sogar noch bei Real angestellt; ausgeliehen nur an Monaco, weil Pérez vor Saisonbeginn alle Ersatzspieler mit hohen Gehältern wegschickte. Sechs solide Profis mussten gehen, weil sie nicht in die Verpackung „galaktischer Star“ oder „Akademietalent“ passten. In Monaco war mehr denn je erkennbar, was das gebracht hat: Die Galaktischen sind ausgelaugt, weil sie immer spielen müssen, müssen aber immer weiter spielen, weil auf der Ersatzbank fast nur Kids sitzen.

„Ich hoffe, dass man am Saisonende eine Analyse macht und dass dann meine Meinung gehört und respektiert wird“, sagte Queiroz. Deutlicher konnte er es nicht sagen: Er hat bereits oft versucht, dem Präsidenten dessen einzigartiges Konzept auszureden. Er wurde ignoriert. Dabei hat der Trainer seine Kompetenz bewiesen. Er löste viele schwierige Details beachtlich, sieben Spieler mit Hang zur Offensive brachte er in einer Elf unter, bastelte sich in der Not eine Innenverteidigung aus einem umstrittenen Außenverteidiger, Raúl Bravo, und einem B-Team-Kicker, Álvaro Mejía, und machte sogar Zidane zu einem der wichtigsten Kopfballspieler bei gegnerischen Eckbällen. Doch im Madrid von Präsident Pérez hat der Trainer vor allem eine Rolle zu erfüllen: „Er steckt bei Misserfolg die Schläge ein.“ Das sagte Queiroz selbst und lächelte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er es witzig findet.