Zensorendämmerung

Das Amtsgericht Karlsruhe hat die Beschlagnahme von Herschell Gordon Lewis’ „Blood Feast“ beschlossen. Die Verbreitung des Films und der DVD stellt nun eine strafbare Handlung dar. „Blood Feast“ ist 41 Jahre alt: ein Klassiker des Splatter-Genres

Der Zombie-Klassiker „Dawn of the Dead“ ist verboten, das nicht minder zimperliche Remake kommt nächste Woche ins Kino

VON ANDREAS BUSCHE

Wenn es um Unterhaltung geht, hat der deutsche Gesetzgeber eine sehr genaue Vorstellung davon, was seinen Bürgern zumutbar ist. Als Richtlinie hat er sich die gute alte Menschenwürde herausgepickt, einen Klassiker und ein Totschlagargument in der Verteidigung humanistischer, demokratischer Werte. Nachzulesen ist das in Paragraf 131 des Strafgesetzbuchs. Was das StGB mit Unterhaltung zu tun hat? Offensichtlich hält es der Gesetzgeber für zumutbar, dass man sich mit Thomas Gottschalks Seicht-Getalke und Reality-TV-Shows bis oben hin zumüllen lässt. Wer sich hingegen abends vor dem Fernseher seinen wohlverdienten Splatterfilm zu Gemüte führen möchte, macht sich partout verdächtig. Der Händler, der solcherlei Unterhaltungsware anbietet, macht sich sogar strafbar. Man stelle sich kurz vor, ein mündiger Bundesbürger würde Pro7 wegen der Verbreitung von Arabella Kiesbauer anzeigen. Abschalten bleibt ihm hier als einzige Option. Dem Fan von „Texas Chainsaw Massacre“ oder „Ich spuck auf dein Grab“ ist nicht einmal das Einschalten erlaubt.

„Eine Zensur findet nicht statt.“ So steht es im Artikel 5 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes. Das Ideal einer freiheitsliebenden, demokratischen Gesellschaft. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft jedoch ein Loch. So wurde vor einigen Tagen bekannt, dass bereits im vergangenen Januar vom Amtsgericht Karlsruhe ein Beschlagnahmungsbeschluss für Herschell Gordon Lewis’ Splatter-Klassiker „Blood Feast“ (1963) gefasst wurde. Damit kommt die weitere Verbreitung des Films, genauer gesagt der DVD, einer strafbaren Handlung gleich. Nach diesem Urteilsspruch befindet sich „Blood Feast“ in bester Gesellschaft: Sam Raimis „Tanz der Teufel“ ereilte bereits mehrmals dasselbe Schicksal, ebenso wie George Romeros „Dawn of the Dead“ und Peter Jacksons „Braindead“. Seitdem ab Mitte der Achtzigerjahre der Paragraf 131 Strafgesetzbuch in Richtung „Gewaltverherrlichung“ ausgelegt wurde, wächst die Liste der beschlagnahmten Filme monatlich.

Zensur und Jugendschutz sind keine synonymen Begriffe, aber in der juristischen Praxis wird heute zwischen beiden weniger denn je ein Unterschied gemacht. Mit der Verschärfung des Jugendschutzgesetzes vom 1. April 2003, die sich aufgrund des Massakers von Erfurt einer breiten Zustimmung erfreuen durfte, ist unter anderem die Arbeit der Kontrollinstanzen noch einmal vereinfacht worden. Verschiedene Beschlüsse ermöglichen heute die Zusammenarbeit zwischen der privatwirtschaftlichen FSK und der staatlichen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), einer weltweit einmaligen Institution. Konnte die BPjM bislang nur auf Antrag tätig werden, darf sie seit 1. April letzten Jahres auch eigenständig handeln. Dabei unterliegt weder die Indizierung (Werbeverbot) noch die Beschlagnahmung objektiven Bestimmungen. So kommt es zu der paradoxen Situation, dass Romeros Zombie-Klassiker „Dawn of the Dead“ in Deutschland verboten ist, während das nicht weniger zimperliche Hollywood-Remake nächste Woche in den Multiplexen startet.

CMV Laservision, der Verleiher von „Blood Feast“, zeigte sich dann auch nicht weiter überrascht von dem Verbot, auch wenn es jeder Beschreibung spottet. Von der Beschlagnahmung hat die Firma erst aus den Medien erfahren. Auch der Regisseur Herschell Gordon Lewis reagierte in einer kurzen Mitteilung an die Bonner Organisation Medialog, die sich die Verbesserung der Medienkompetenz auf die Fahnen geschrieben hat, verständnislos auf die Nachricht, dass sein Film von „einem Gericht in Karlsruhe“ verboten wurde; er verwies auf die historische Bedeutung seines Films. Dass sachliche Argumente in einer solcherart erhitzten Debatte aber nur schwer greifen, zeigt der Beschluss einer erneuten Novellierung des Paragrafen 131, die Anfang April in Kraft getreten ist. Mit der Überarbeitung ist nicht nur ein staatliches Machtwort in der absurden Diskussion um die Unterscheidung zwischen „Menschen“ und „menschenähnlichen Wesen“ (also Zombies), die Videospiel- und Filmfirmen einige Jahre als legales Schlupfloch diente, gesprochen worden. Auch hat sich die elterliche Kompetenz weiter in Richtung Staat verlagert. Wer seit dem 1. April seinen Kindern kraft seiner Erziehungsberechtigung so genannte 131er-Filme erlaubt, macht sich damit ebenfalls einer strafbaren Handlung schuldig.

Der exemplarische Fall „Blood Feast“ zeigt deutlich wie schon lange nicht mehr den Wahnsinn der bundesdeutschen Rechtsprechung auf, die jeden Sinn für Verhältnismäßigkeit verloren hat. Der panische Schrei nach mehr Jugendschutz und die übereifrige Exekutive können dabei jedoch nicht verhehlen, dass der Staat es bis heute versäumt hat, im Bereich der Medienerziehung entscheidende Schritte zu unternehmen.