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Archiv-Artikel

Fahrräder statt Panzerfahrzeuge

Kommende Woche wollen die protestantischen Unionisten Nordirlands über irische und britische Vorschläge zur Rettung des Friedensprozesses entscheiden. Die Chancen dafür stehen schlecht. Gerüchte über britische Agenten bei der IRA und Sinn Féin

aus Belfast RALF SOTSCHECK

Die protestantischen Unionisten Nordirlands rüsten zur letzten Schlacht. Am Wochenende setzten die Dissidenten in der Ulster Unionist Party (UUP), der größten nordirischen Partei, eine Sondersitzung ihres höchsten Gremiums für den 16. Juni fest. Der 860-köpfige Rat muss dann über die Vorschläge der britischen und irischen Regierung zur Rettung des Friedensprozesses entscheiden. Im Angebot sind die Reduzierung der Truppenstärke in Nordirland auf 5.000 britische Soldaten bis 2005, der Abbau der meisten Wachtürme und Kasernen, Fahrräder statt Panzerfahrzeuge für die Polizei sowie eine Amnestie für untergetauchte Mitglieder paramilitärischer Organisationen. Voraussetzung ist ein erklärter Gewaltverzicht der Irisch-Republikanischen Armee (IRA).

Der Unionistenchef, Friedensnobelpreisträger David Trimble, wollte die Sondersitzung nicht, doch seine innerparteilichen Gegner sammelten genug Unterschriften und sind zuversichtlich, dass sie die Partei in zwei Wochen zur Ablehnung des britisch-irischen Vorschlags bewegen können. Ihrer Meinung nach habe es zu viele Zugeständnisse an die IRA und ihren politischen Flügel, Sinn Féin, ohne genügend Gegenleistungen gegeben.

Weil die IRA ihre Untergrundtätigkeit angeblich nicht aufgegeben hat, löste der britische Premier Tony Blair im Oktober 2002 das Parlament und die Mehrparteienregierung auf, an der auch Sinn Féin beteiligt war. Seitdem wird Nordirland wieder direkt aus London regiert. Außerdem verschob Blair die auf Himmelfahrt angesetzten Wahlen. Er befürchtete, dass die Partei des radikalen Protestantenpfarrers Ian Paisley stärkste Partei würde, was das sofortige Aus für den Friedensprozess bedeutet hätte.

Als Geste des guten Willens fordert Blair von Sinn Féin, die Sitze in der Polizeiaufsichtsbehörde einzunehmen und Parteimitglieder zu ermuntern, in den Polizeidienst einzutreten. Das wird der Parteibasis nur schwer zu verkaufen sein, haben die Geheimdienste von Polizei und Armee doch eng mit protestantischen Todesschwadronen zusammengearbeitet und sie mit Hilfe ihrer Agenten sogar zu Mordanschlägen angestiftet.

Der seit drei Wochen berühmteste britische Agent behauptet aber, er sei gar keiner gewesen. Zeitungen hatten Alfredo Scappaticci als „Stakeknife“ geoutet. Er soll 25 Jahre als Vizechef des IRA-Sicherheitsdienstes gleichzeitig für die Force Research Unit (FRU), eine zwielichtige Geheimdienstorganisation der britischen Armee, gearbeitet und bis zu 40 Morde begangen haben. Scappaticci bestreitet das. Er sei seit 1990 nicht mehr in der IRA aktiv, habe nie als Spitzel gearbeitet und nicht gemordet.

Seither haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Manche glauben, dass „Stakeknife“ nur der Name einer Operation war und der wirkliche Agent „Steakknife“ heißt. Andere behaupten, dass es Dutzende britischer Agenten in IRA und Sinn Féin gibt. Die Parteiführung sagt, dass die Stakeknife-Geschichte ein weiterer schmutziger Trick des britischen Geheimdienstes sei. Denn es war ein Ex-Agent, der Scappaticci „enttarnt“ hat.

Nicht alle IRA-Mitglieder glauben den Versicherungen Scappaticcis und Sinn Féins. „Wenn sie zugeben, dass er für die Briten gearbeitet hat, wäre die IRA praktisch zerstört“, sagte ein IRA-Mitglied. „Vielleicht haben sie einen Pakt gemacht: Er leugnet, ein Spitzel zu sein, und darf dafür in Irland bleiben. Der Organisation bleibt die Schmach erspart.“

Scappaticci hat vorige Woche die britische Regierung verklagt, weil sie sich weigert zu erklären, dass er nicht „Stakeknife“ sei. „Vielleicht will man, dass er von der IRA getötet wird“, sagte einer, der Sinn Féin nahe steht. „Wenn er ‚Stakeknife‘ ist und vor der Untersuchungskommission aussagt, die die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit Todesschwadronen untersucht, könnte das für einige Londoner Politiker peinlich werden. ‚Stakeknife‘ war angeblich schon aktiv, als Margaret Thatcher Premier war.“