: Keine Entschuldigung für Ruandas Opfer
Eine Woche lang hat Ruandas Regierung der Opfer des Völkermordes von 1994 gedacht. Diplomatischer Streit mit Frankreich und weltweites Desinteresse prägen ein sehr offizielles Gedenken, an dem die einfache Bevölkerung nur wenig beteiligt war
AUS KIGALI GERD HANKEL
Es war eine schlechte Woche für Kofi Annan, für die UNO und ganz besonders für Frankreich. In fast jedem Vortrag der internationalen Genozidkonferenz in Ruandas Hauptstadt Kigali, Auftakt der jetzt beendeten einwöchigen Gedenkveranstaltungen zum 10. Jahrestag des ruandischen Völkermordes, wurde die Gleichgültigkeit der Staatengemeinschaft angeprangert, die erst den Völkermord ermöglicht hatte. Dass selbst Gleichgültigkeit ein zu schwaches Wort ist und richtigerweise von einer kriminellen Unterlassung gesprochen werden sollte, machte Roméo Dallaire deutlich, der damalige UN-Oberbefehlshaber in Ruanda. Er schilderte eindrücklich seine verzweifelten Versuche, von der UN-Zentrale ein Mandat zum Eingreifen zu erhalten, um den Völkermord in letzter Minute noch verhindern oder eindämmen zu können.
Sichtlich erregt erklärte Alain Desthexhe, ehemaliger Generalsekretär der belgischen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“ und heute Senator in Belgien: „Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Kofi Annan ist ein Skandal. Er war 1994 als UN-Untergeneralsekretär für die Friedenseinsätze zuständig und hat nichts gemacht. Dass er den Preis bekommen und angenommen hat, ist eine nachträgliche Verhöhnung der Opfer.“ Das etwa 500 Personen zählende, zumeist ruandische Publikum reagierte mit zustimmenden Rufen und starkem Applaus.
Die zentrale Gedenkveranstaltung fand am Mittwoch im Stadion von Kigali statt. Schon ein Blick auf die Tribüne der Ehrengäste zeigte, wie groß nach wie vor das Desinteresse der internationalen Gemeinschaft ist: Während eine ganze Reihe afrikanischer Staats- und Regierungschefs gekommen waren, unter ihnen „Schwergewichte“ wie Yoweri Museveni aus Uganda oder Thabo Mbeki aus Südafrika, war mit Ausnahme des belgischen Premierministers Guy Verhofstadt kein Staats- oder Regierungschef aus Europa oder den USA der Einladung der ruandischen Regierung gefolgt. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte offenbar ebenfalls Wichtigeres zu tun. Statt ihrer ließen sie Hinterzimmerdiplomaten Betroffenheitsadressen verlesen, die die Verantwortung schön gleichmäßig zu verteilen wussten, bis sie sich schließlich vollends auflöste. Keine Entschuldigung, nichts. Auch nicht vom Emissär Kofi Annans.
Obwohl Ruandas Regierung also genügend Anlass gehabt hätte, über viele Länder und Institutionen enttäuscht zu sein, richtete sich ihr Unmut letztlich nur gegen ein Land. Als ein Genozidüberlebender vor den rund 25.000 Menschen im voll besetzten Stadion erzählte, dass französische Soldaten während des Völkermords dem Morden tatenlos zugesehen, die Mörder noch zu ihren späteren Opfern gefahren und sogar selbst ruandische Frauen vergewaltigt und getötet hätten, wurden Rufe und Pfiffe gegen Frankreich laut. Mehrere Frauen weinten und brachen, vom Schmerz der Erinnerung überwältigt, zusammen.
Zu diesem Zeitpunkt war der französische Botschafter allerdings schon nicht mehr anwesend. Er hatte das Stadion bereits während der Rede des ruandischen Präsidenten Paul Kagame verlassen, in der dieser die Richtung der Kritik vorgegeben und einzig und allein Frankreich angegriffen hatte.
Diese Gedenkveranstaltungen hatten einen offiziellen Charakter; unabhängiges oder privates Gedenken wird erst ab nächste Woche sichtbar werden. Kein zweifelndes Wort war zu hören über ein Regime, dessen Rolle bei der Befreiung des Landes von den Völkermördern bis heute eine Reihe von Fragen aufwirft. Keine Nachfrage wurde an die Vertreter einer Regierung gerichtet, die Opposition unterdrückt und selbst Völkermordopfergruppen ausgrenzt, weil sie die Ausschließlichkeit des eigenen Machtanspruchs gefährden. Immerhin waren die Vereinigungen der Völkermordüberlebenden, die sonst der Regierung Kagame ziemlich kritisch gegenüberstehen, diesmal offizielle Mitveranstalter des Gedenkens.
Doch in der Trauernacht von Mittwoch auf Donnerstag, als auf die offiziellen Reden weitere Zeugnisse von Überlebenden und choreographische Darstellungen folgten, war das Stadion nur noch zu einem Drittel gefüllt. Vielleicht lag es am schlechten Wetter. Da es allerdings erst spät anfing zu regnen, ist es wahrscheinlicher, dass sich viele Ruander in dieser Form der verordneten Trauer nicht wiederfinden. Sie bleiben zu Hause und verarbeiten das Geschehen auf ihre Weise. Denn nicht wenige trauern vor dem Hintergrund einer Wahrheit, die nicht hundertprozentig die offizielle ist.
politisches buch, taz.mag SEITE VII