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Archiv-Artikel

„Popularität ist kein Kriterium“

Weserburg-Direktor Carsten Ahrens über den Erfolg von Helmut Newton, die neue kunsthallenfreie Zeit in Bremen, eine Jonathan Meese-Ausstellung und moderne Kunst in Designerküchen

CARSTEN AHRENS, 47, ist seit 2005 Direktor des Neuen Museums Weserburg. Er ist Nachfolger von Museums-Gründer Thomas Deecke. Von 1994 bis 2003 war er stellvertretender Direktor der Kestner Gesellschaft in Hannover.

Interview von JAN ZIER und BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Wie viele BesucherInnen kamen denn nun in die Newton-Ausstellung?

Carsten Ahrens: Es sind auf jeden Fall deutlich mehr als 45.000. Das Jahresergebnis der Weserburg liegt damit zwischen 58.000 und 60.000 BesucherInnen. Das ist bislang Rekord.

Seit Schließung der Kunsthalle ist die Weserburg das erste Museum am Platze...

Der Umbau dort wird die Wahrnehmung der Weserburg nicht schwächen. Aber einen Automatismus, wie ihn sich einige Menschen vorstellen, gibt es nicht: Nur weil die Kunsthalle zu ist, heißt das nicht, dass deren Besucher jetzt zu uns kommen.

Aber das Potenzial anzuzapfen, wäre nicht schlecht: Hätte man nicht vom Paula-Boom, beispielsweise mit zeitgenössischen weiblichen Positionen, profitieren können?

Das glaube ich nicht: Der normale Busreisende mit dem Ziel „Paula“-Ausstellung in der Kunsthalle schafft es vielleicht noch, die in der Böttcherstraße zu sehen. Dann fährt der Bus auch schon wieder ab. Für diese Zielgruppe liegen wir zu weit weg vom Schuss, weil man dann erst wieder über den Fluss müsste. Und wenn die Kunsthalle Ausstellungen mit zeitgenössischen Positionen macht, haben die da auch keinen gigantischen Zulauf.

Ist das in der Politik angekommen?

In der Kulturpolitik ist das klar. Normalsterbliche mögen da andere Vorstellungen haben, aber die Politik ist meines Erachtens sehr zufrieden mit dem Erreichten hier in der Weserburg. Ich habe auch nicht vernommen, dass man jetzt von uns erwartet, die erzielten Ergebnisse permanent zu verdoppeln.

Aber Sie haben mit Immendorff und Newton hohe Erwartungen geweckt.

Das ist klar. Wir werden auch wieder eine große publikumsträchtige Ausstellung machen. Der Name wird erst im Januar bekannt gegeben. Und ob dann genau so viele Leute kommen, wie zu Newton, das wird man sehen.

Zuletzt gab es sehr viele Ausstellungen in der Weserburg.

Wir haben die Schlagzahl vehement erhöht. Das werden wir wieder etwas reduzieren, weil wir das mit unserem Personal gar nicht leisten können. Zum Teil haben wir ja alle 14 Tage eine neue Ausstellung eröffnet. Das war auch nötig, um zu zeigen, welche Lebendigkeit in diesem Hause steckt. Aber unsere Besucher können so viele Ausstellungen gar nicht schaffen.

Man kann auch nicht jedes Jahr einen Immendorff aus dem Hut zaubern.

Dass Immendorff diese irrsinnige Popularität erlangt hat, liegt ja nicht zuletzt an Dingen, die jenseits der Kunst liegen. Ich halte ihn aber für einen der großen deutschen Künstler der letzten 40 Jahre. Ich würde nie behaupten, dass er der herausragende Maler ist, wenn man die Idee einer absoluten Malerei verfolgt. Ich würde das auch von Jonathan Meese nie behaupten. Immendorff hat es aber immer verstanden, wie man sich als Künstler in Szene setzen muss, um in einer Medienrepublik mit seiner Kunst wahrgenommen zu werden. Das hat er bei Joseph Beuys gelernt – und uns dadurch sehr geholfen.

Ihr Vorgänger Thomas Deecke hätte das anders gesehen.

Unsere Museumsfreunde sind durch eine 15-jährige, strenge, puristische künstlerische Sozialisation gegangen. Aber sie haben verstanden, dass die Weserburg sich nicht scheuen darf, auch populäre Namen ins Spiel zu bringen – um das Haus an sich zu erhalten. Daneben gibt es den schönen Effekt, dass sich Besucher, die über Immendorff oder Newton ins Haus kommen, auch die anderen Ausstellungen angucken. Grundsätzlich ist Popularität kein Kriterium, um mangelnde Qualität festzustellen – und umgekehrt: Es gibt auch sehr populäre Künstler, die mir hier nicht ins Haus kommen.

Jonathan Meese aber schon?

Den mag ich sehr, mit dem habe ich schon zusammen gearbeitet, das ist ein guter Freund. Er wird auch irgendwann eine eigene Ausstellung hier bekommen – allerdings noch nicht im nächsten Jahr.

Sind die BremerInnen zu wenig aufgeschlossen für zeitgenössische Kunst?

Nein, das nicht. Ich glaube aber, dass etwa die Gesellschaft für Aktuelle Kunst das Problem hat, dass es hier einen Kunstverein gibt, der die Kunsthalle trägt. In anderen Städten fördert der Kunstverein in erster Linie die aktuelle Kunst. In Bremen ist er Träger eines Museums mit einem Jahrhunderte alten Bestand. Das ist ziemlich einmalig. In Hannover gibt es zwar auch zwei Kunstvereine, aber beide arbeiten auf dem Feld der zeitgenössischen Kunst. Davon, dass diese in gewissen gesellschaftlichen Kreisen zum Statussymbol avanciert ist, profitieren weniger die Museen als vielmehr die Galerien. Wir haben noch keinen richtigen Hebel gefunden, um das auch auf uns abstrahlen zu lassen.

Müssen auch andere Präsentationsformen gefunden werden?

Nichts ist katastrophaler, als wenn man als Direktor durch sein Haus geht und hört: Dieses Bild würde gut in unsere Designerküche passen.

Wie ließe sich das vermeiden?

Wenn wir Kunst wie bisher weiterhin ganz minimalistisch in einem leeren weißen Raum zeigen, können wir auch die Ideen, den politischen Sprengstoff dieser Werke nicht mehr vermitteln. Man muss einen Ideen-Raum kreieren. Farbe alleine genügt da natürlich nicht.