: Bei Hellrosa auf die Tube
Die Polizei versucht in dieser Woche mit Sonderkontrollen Radfahrer zu disziplinieren. Mit Abkassieren soll das nichts zu tun haben. Von knarzenden Funkgeräten und Schweiß auf der Stirn
von PLUTONIA PLARRE
Die Vorhut besteht aus zwei dickbäuchigen Polizisten von kleiner und großer Statur. Sie lehnen betont lässig an einem Trafohäuschen an der Kreuzung unter den Linden Ecke Friedrichstraße und fixieren den Verkehr. In ihren kurzärmligen Hemden sehen die beiden wie Pat und Patachon aus. Die Nachhut hat sich zweihundert Meter weiter hinter geparkten Autos versteckt: vier Polizisten in grünbeiger Uniform, jederzeit bereit, mit gezückter Polizeikelle auf die Fahrbahn zu springen, wenn Pat und Patachon durch ihre Funkgeräte Alarm geben. Zum Beispiel so: „Radfahrerin mit gelbem T-Shirt – hört Walkman“, oder „Mann in grünem Hemd auf blauem Rad – bei Rot gefahren“.
Gezielte Fahrradkontrolle nennt sich diese von der Polizei seit Montag durchgeführte stadtweite Maßnahme. Die Begründung: „Stetig nachlassende Verkehrsdisziplin unter Radfahrern.“ Gleichzeitig solle aber auch gegen Autofahrer vorgegangen werden, die durch ihren Fahrstil Radfahrer gefährdeten, sagt Polizeioberkommissar Stefan Drescher, im Polizeipräsidium zuständig für die Verkehrsüberwachung. Es ist die zweite Kontrollaktion dieser Art in diesem Jahr. Anfang April hatte die Polizei bei einer ähnlichen Aktion 8.000 Radfahrer und 500 Autofahrer kontrolliert. Gegen die Radfahrer wurden über 2.000 Anzeigen geschrieben, in der Mehrzahl wegen Befahrung der Gehwege oder in umgekehrter Richtung auf dem Fahrweg. Auch 262 Rotlichtfahrten waren dabei.
„Je öfter wir so etwas durchführen, um so mehr bleibt es in Erinnerung“, hofft Drescher. Als erfahrener Polizeioberkommissar weiß er aber auch, dass es mit der erzieherischen Wirkung so eine Sache ist. Den Begriff Pistensau mag Drescher zwar nicht in den Mund nehmen, er spricht lieber von „Radfahrern, die unbelehrbar sind und bei denen nichts fruchtet“. Nein, es gehe der Polizei nicht darum, einfach nur abzukassieren, versucht Drescher glauben zu machen. Immerhin habe sich die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer in Berlin von 10 im Jahr 2001 auf 18 im vergangenen Jahr nahezu verdoppelt. Insgesamt wurden 5.926 Unfälle mit Radfahrern gezählt, von denen 481 schwer verletzt wurden.
Das Sechsergespann hat seine Position inzwischen aufgegeben und ist vor die Humboldt-Universität umgezogen. Dort ist wesentlich mehr los. Pat und Patachon haben sich kurz vor der Fußgängerampel postiert, die rüber zur Deutschen Staatsoper führt. Etwas fies ist das schon, weil hier selbst Radfahrer, die ansonsten gar nicht anarchisch gesonnen sind, bei Hellrosa auf die Tube drücken, wenn weit und breit kein Fußgänger zu sehen ist. Entsprechend ist die Ausbeute. Die Uniformierten kommen gar nicht so schnell nach, die Sünder aus dem Verkehr zu ziehen, wie das Funkgerät knarzt. „Rotes T-Shirt, blauer Rock, grünes T-Shirt, schwarzes Rad.“ Mindestens 14 Rotlichtfahrten vermelden die Zivilpolizisten.
Nicht jeder, der vor der Humboldt-Universität angehalten wird, gibt so wie der Architekt mit der Sonnenbrille klein bei, der bereitwillig seine 25 Euro zückt. „Das war nie im Leben Rot“, entrüstet sich ein junger Radler. Aber es gibt auch ein paar ganz Dreiste, die schnell in die Pedale treten und auf der Überholspur an der winkenden Kelle vorbeiziehen. „Was sollen wir machen“, zuckt ein Uniformierter die Achsel. Wenn wir mit Blaulicht hinterherfahren würden, wäre die allgemeine Gefährdung zu groß.
Auf der Stirn der Beamten haben sich kleine Schweißperlen gebildet. Einer hat sich in den Schatten verdrückt, als aus dem Funkwagen das erlösende Signal kommt: „Schluss machen.“ Heute werden die Beamten noch einmal an den Kreuzungen stehen – vermutlich nicht zum letzten Mal in diesem Jahr.