: Papa trinkt: Und wer hilft den Kindern?
Alkohol als Familienkrankheit: Osdorfer Stadtteil-Studie über Heranwachsende aus suchtbelasteten Familien zeigt dringenden Handlungsbedarf. „Connect“-Projekt soll jetzt Hilfsangebote vernetzen und eine „Kultur des Hinschauens“ etablieren
Von Marco Carini
Die Flasche gehört zum Familienalltag wie das täglich Brot. Welche Konsequenzen Kinder zu tragen haben, deren Eltern alkoholabhängig sind, beleuchtet eine von der Hamburgischen Landesstelle gegen die Suchtgefahren in Auftrag gegebene Studie am Beispiel des Altonaer Stadtteils Osdorf, die jetzt veröffentlicht wurde.
Ziel der Expertise ist nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern die Verbesserung und Vernetzung der Hilfsangebote im Raum Osdorfer Born/Alt Osdorf. Denn die alarmiernden Ergebnisse der Befragung unterstreichen, so das „Präventionsbüro“ der Landesstelle, „eindeutig den Handlungsbedarf in der Region“.
Die Intensivbefragung von 14 MitarbeiterInnen ausgewählter sozialer, medizinischer und pädagogischer Einrichtungen des Stadtteils, auf der die Studie fußt, ergibt ein erschreckendes Bild: Jedes fünfte Kind in dem Quartier lebt danach in einer „suchtbelasteten Familie“. Fast immer steht die Volksdroge Alkohol im Mittelpunkt. Besonders betroffen sind vor allem Heranwachsende aus kinderreichen Familien, wobei die (Halb-) Geschwister meist verschiedene Väter haben.
Die von den PädagogInnen beschriebenen Auswirkungen für die Kinder sind vielfältig: Die meisten Jungen und Mädchen aus suchtbelasteten Familien zeigen deutliche „psychische Auffälligkeiten“, sind entweder aggressiv oder überangepasst, leiden unter Kommunikations- und Konzentrationsproblemen, sind oft unruhig, desinteressiert, ängstlich oder verzweifelt. Bei Kleinkindern sind Wachtumsstörungen und Untergewicht die sichtbarsten Anzeichen der Alkoholsucht ihrer Eltern. Auch äußerere Verwahrlosung, von verstärkt auftretender Karies bis hin zu den Folgen unregelmäßiger und ungesunder Ernährung, bestimmen nach den Aussagen der Befragten das Erscheinungsbild der Kinder aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil zu häufig trinkt.
Schulen, Kindergärten, Suchthilfeeinrichtungen und andere mit den Kindern in Berührung kommende Institutionen sind den Problemen offenbar nicht gewachsen. Nach Auffassung von Theo Baumgärtner und Catharina Scharping, den AutorInnen der Studie, ist vor allem aufgrund der „massiven Haushaltseinsparungen“ des Hamburger Senats und der Bezirke eine dringend erforderliche „Kooperation und Vernetzung“ zwischen den Einrichtungen „nur noch begrenzt möglich“ – eigentlich könne nur ein finanzielles Umsteuern der Politik die sich anbahnende Katastrophe verhindern.
Den psychischen Problemen der Kinder stehen zudem keine Angebote „qualifizierter psychologischer Unterstützung“ im Stadtteil gegenüber. Oft werden Suchtprobleme auch gar nicht erkannt oder selbst von PädagogInnen nicht als Krankheit, sondern als Charakterschwäche wahrgenommen. Hier machen die Verfasser der Studie einen erhöhten Fortbildungsbedarf der MitarbeiterInnen der Stadtteileinrichtungen aus, um dort eine „Kultur des Hinschauens“ zu etablieren.
Besonders die Vernetzung der Träger und Einrichtungen rund um den Osdorfer Born solle unter der Regie des Büros für Suchtprävention unter dem Projektnamen „Connect“ verstärkt werden. Ein erster Kooperationsworkshop ist für kommenden Donnerstag in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule geplant. Der zweite Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung und Durchführung von auf den Stadtteil zugeschnittenen Weiterbildungsangeboten. Ein erstes Seminar zum Thema „Auswirkungen der Sucht auf die Familie“ findet Ende April statt.
Hohe Geldbeträge stehen für das Connect-Projekt nicht zur Verfügung. Da es für „zusätzliche Hilfsangebote zurzeit keine finanziellen Spielräume gibt, müssen wir mit dem Vorhandenen arbeiten“, betont Irene Ehmke vom Präventionsbüro. Eine kleine Hoffnung gibt es trotzdem: Fruchten die Bemühungen in Osdorf, soll das Modellprojekt auf andere Stadtteile mit vergleichbaren Problemen übertragen werden.
Die Studie „Kinder aus suchtbelasteten Familien in der Modellregion Osdorf“ ist erhältlich bei der Hamburgischen Landesstelle gegen die Suchtgefahren e. V., Büro für Suchtprävention (Repsoldstraße 4, 20097 Hamburg, E-Mail: bfs@suchthh.de).