: Der Windjammer der Neozyniker
Ein „Spiegel“-Aufmacher und die Sozialpsychologie: Woher die Aggressivität gegen diejenigen kommt, die die Umweltpolitik noch nicht abgeschrieben haben
Wenn der Spiegel-Titel vom 29. März über die „große Luftnummer“ des „Windenergiewahns“ als Sprengsatz gedacht war, um die Novelle des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) in letzter Minute zu unterminieren, so ging dieser Versuch gründlich daneben. Die Regierungsfraktionen haben sich nicht irritieren lassen, sondern das Gesetz vier Tage später verabschiedet. Nur in der Unionsfraktion, die am Tage der Spiegel-Veröffentlichung entscheiden sollte, ob sie diesem Gesetz zustimmt, gab der Vorstoß aus Hamburg den letzten Anstoß für eine Ablehnung. Somit wurde auch dieser bisher spektakulärste aller Sprengsätze, die in den letzten Monaten gegen das EEG gelegt wurden, zum Blindgänger.
Der Seriosität des Magazins hat das nicht gut getan. Das Interesse an der Destruktion war zu offensichtlich, von der Wortwahl im Text bis hin zu den gezeigten Bildern von Landstrichen, die mit Windkraftanlagen vollgestellt sind. Die Windräder geben diesen zweifelsfrei eine eigenartige neue Prägung, können aber mitnichten einen Horroreindruck der „schlimmsten Verheerung seit dem 30-jährigen Krieg“ erwecken.
Aufklärerisch konnte die Titelgeschichte schon deshalb nicht sein, weil sie neben zahlreichen haltlosen Behauptungen durchgängig kontextlos blieb. Kein Wort davon, dass die Privilegierung von Windkraftanlagen im Bundesbaugesetz diese lediglich rechtlich gleichsetzt mit der von Kohle- oder Atomkraftwerken, also lediglich eine vorherige Diskriminierung aufgehoben wurde. Kein Wort über die ebenfalls privilegierten Hochspannungsmasten, von denen es zwanzigmal mehr als Windkraftanlagen gibt und zwischen denen die Landschaft verdrahtet ist, wofür tausende Kilometer Waldschneisen geschlagen sind.
Nichts über die ebenfalls privilegierten Richtfunkanlagen – viermal mehr als Windkraftanlagen – und Gasleitungen durch Naturschutzgebiete. Und ebenfalls Fehlanzeige hinsichtlich des Bergrechts, das den Steinkohlebergwerken nahezu uneingeschränkte Vollmachten zur Landschaftsveränderung gibt, obwohl sie zur Absenkung ganzer Siedlungsgebiete führen. Oder zum Thema Braunkohleabbaugebiete, deren Gesamtfläche mittlerweile 2.300 Quadratkilometer ausmacht, für die über hundert Ortschaften geopfert wurden. Und ebenfalls kein Wort von Botho Strauß dazu, dem landschaftsästhetisierenden Kronzeugen des Spiegel, über den „verloren gehenden Erinnerungswert“ all dessen, in unmittelbarer Nachbarschaft seiner uckermärkischen Idylle.
Wenn Gemeinden im investitionsgehemmten Deutschland wenigstens auf Gewerbesteuern durch Windkraftinvestitionen setzen, sind sie nur noch „geldgierig“. Ebenso erscheinen private Investoren – ganz als wären private Investitionen für beliebige sonstige Zwecke gemeinnützig. Die steuerliche Abschreibung von Windkraftinvestitionen wird vom Spiegel zur verpönten wirtschaftsfeindlichen Subvention erklärt – woraus sich unausgesprochen die hanebüchene These ergibt, die gesamte Wirtschaft sei subventioniert und damit wirtschaftsfeindlich, weil bekanntlich jedwede unternehmerische Investition von der Steuer abgezogen wird – dieser Spiegel-Titel ist ein Machwerk zum Schüren antiaufklärerischer Ressentiments.
Interessant bleibt dabei nicht etwa die Frage, was die Windmüller treiben, sondern wohin das Magazin aus Hamburg mit solchen Artikeln treibt. Der Spiegel ist dabei, die Bundesrepublik als verrottet und gelähmt darzustellen und eine Abhilfe dagegen zu schaffen, indem jenseits des sozialstaatlichen Anspruchs und gegen umweltpolitische Umstandskrämerei die Wirtschaft von allen Leinen gelassen werden soll.
Nicht wenige vermuten, der Windjammer im Spiegel gehe lediglich darauf zurück, dass sein Chefredakteur die im Blickfeld seines Reitstalls im hamburgischen Umland stehenden Windkraftanlagen persönlich für unerträglich hält und sein Magazin für einen neofeudalen Privatkrieg instrumentalisiert. Eine solche Interpretation erklärt nicht, warum Pamphlete wie die Windkraft-Titelgeschichte bei nicht wenigen verfangen. Der Spiegel ist ja nicht allein. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung übt sich seit Jahren in dieser Kritik.
Die eigentlich interessante Frage ist, welche Einstellung dazu führt, eine derartige Kampagne gegen die Windkraft zu betreiben – da doch jedem einigermaßen informierten Menschen bewusst ist, welche vielfältigen katastrophalen Folgen die atomar-fossile Erd- und Atmosphärenzerstörung hat. Wenn dessen ungeachtet kein gutes Haar am derzeit weltweit erfolgreichsten Versuch der Ablösung konventioneller Energiebereitstellung gelassen wird, lässt das auf eine neozynisch gewordene Grundhaltung schließen, die eine ökologische Überlebensperspektive aufgegeben und durch eine egozentrische Interessenabsolutierung ersetzt hat. Die Autoren und die entscheidenden Redakteure glauben nicht mehr an die Realisierbarkeit sozialer oder ökologischer Ziele. Ihre geistige Kapitulation produziert in ihnen gleichwohl ein schlechtes Gewissen, das es dauernd zu beruhigen gilt. Es führt zu einer eigenartigen Aggressivität gegen diejenigen, die solche Ziele noch nicht abgeschrieben haben.
Diese werden dann nicht nur gern als „Gutmenschen“ lächerlich gemacht. Noch willkommener ist jede Gelegenheit, sie als unglaubwürdig zu entlarven, um zu zeigen, dass es ihnen in Wahrheit nur um dasselbe geht wie allen anderen auch. Allzu gern wird dann die Behauptung aufgenommen, dass Windkraftanlagen keinerlei ökologischen Nutzen bringen würden, sondern bloße „Raffgier“ und „Abzockerei“ seien. Die Botschaft soll lauten: Die sind auch nicht besser als andere, nur verlogener – also sogar noch schlechter.
Das ist der Zeitgeist einer sich revolutionär gerierenden Wirtschaftsgeneration, die ihr Heil im Kostensenkungswettbewerb sucht und alle gesellschaftlichen Übel den alten wie den neuen sozialen Bewegungen zuschreibt. Einer Generation, der alles suspekt oder störend ist, was noch danach riecht. So wird selbst die politisch-gesellschaftliche Herausforderung des Kampfs gegen die Umweltzerstörung zum alten Hut erklärt, bevor überhaupt ernsthaft versucht wurde, diese politisch-gesellschaftliche Herausforderung zu beantworten.
Damit schließt sich der Kreis zwischen dem Bedürfnis nach einem von Windkraftanlagen ungetrübten Landschaftsbild und dem nach einem wirtschaftlichen Durchmarsch auf der Basis ungezügelter Wachstumssteigerung – koste es stets für andere und die Umwelt, was es zu müssen scheint. Im windigen Protest verbündet sich naturalistische Landschaftsverklärung, die pauschal wirtschaftsfeindlich ist, mit einem radikalisierten Wirtschaftsdenken, dem die Naturzerstörung recht gleichgültig ist – wenn sie nur aus dem Auge und damit aus dem Sinn ist. Neu sind solche autistischen Weltbilder nicht: Zur Geschichte der Industriestädte gehörte stets, dass die Schornsteine nie im Villen-, sondern stets im Arbeiterviertel rauchten. HERMANN SCHEER