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Archiv-Artikel

„So gefährlich wie seit 1945 nicht mehr“

Entgegen den offiziellen Berechnungen steckt Deutschland schon in der Deflation, sagt Ökonomieprofessor Sauer

taz: Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die Gefahr einer Deflation in Deutschland als hoch ein, die Bundesregierung dementiert. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Thomas Sauer: Die Gefahr ist wirklich ernst. Der Widerspruch der Bundesregierung hat allein psychologische Gründe. Die Politik will keine Deflationsangst erzeugen, um nicht noch mehr Zurückhaltung bei Wirtschaft und Verbrauchern zu provozieren. Eine richtige Überlegung. Aber die eigentliche Ursache ist die unsichere wirtschaftliche Situation und die Arbeitslosigkeit. Die Deflation bildet so einen Teufelskreis. Aber denken Sie an Ihren Bekanntenkreis und Menschen, die Arbeitslosigkeit fürchten. Sie sind verunsichert und sparen lieber. Das nächste Auto wird dann erst in einem Jahr gekauft.

Und was macht die Europäische Zentralbank (EZB)?

Sie spielt da mit. Auch sie dementiert, hat aber tatsächlich ihre Strategie geändert, um die Preise wieder hoch zu treiben.

Hat nicht das klassische Bild der Deflation, wie wir es vom Ende der Weimarer Republik kennen, heute ausgedient?

Die Situation ist wahrscheinlich gefährlicher, als es die offiziellen Zahlen anzeigen. Bei einem Messfehler von bis zu einem Prozentpunkt, könnten wir schon real unter Null liegen. Denken wir nur an die Energiepreise oder das Dumping auf dem Reisemarkt und bei Lebensmitteln. Tatsächlich sind wir wohl schon in einer Deflation.

Warum fürchten Ökonomen – im Gegensatz zu den Verbrauchern – sinkende Preise?

Wenn die Preise sinken, sinken die Erlöse, und die Unternehmen machen Verluste. Die Folge sind Not leidende Kredite, worunter dann auch die Banken leiden. Neue Kredite werden dann nicht mehr vergeben.

Was tun? Originelle Ökonomen fordern allen Ernstes, notfalls die Notenpresse anzuwerfen. Sollte die EZB-Filiale Bundesbank einfach mehr Geld drucken?

Im übertragenen Sinne ja. Die Bundesbank könnte durch den Ankauf von Wertpapieren mehr Geld in Umlauf bringen und damit die Preise nach oben treiben. Wichtig ist, dass am Donnerstag tatsächlich eine konsequente Senkung der Leitzinsen durch die EZB erfolgt, um mindestens 0,5 Prozentpunkte. Ein kleinerer Zinsschritt wäre eine riesige Enttäuschung und könnte Deutschland in die Rezession treiben. Aber auch dieser Zinsschritt wird nicht reichen. Notwendig ist zudem ein staatliches Konjunkturpaket, mit dem die Nachfrage angekurbelt wird.

Inzwischen macht sich auch Notenbankchef der Vereinigten Staaten, Alan Greenspan, Sorgen. Droht uns die erste globalisierte Deflation?

Ausschließen will ich das nicht. Es ist eine Gefahr. So schwierig war die ökonomische Lage seit 1945 nicht mehr.

Müssen die Schuldengrenzen von Maastricht fallen?

Ja. Wir bräuchten einen Bruch des Stabilitätspakts. Maastricht müsste fallen. In der jetzigen Konjunkturlage sind die Maastrichter Stabilitätskriterien viel zu eng gesteckt. Der Staat kommt um neue Schulden und ein kräftiges Konjunkturpaket nicht herum, um die Nachfrage wieder anzukurbeln. Dabei sollte die Politik darauf achten, dass vernünftig investiert wird, etwa in die Umwelt. Alte Modelle aus den Siebzigerjahren, die nur auf stabile Preise und monetaristische Steuerung setzen, sind überholt.

INTERVIEW: HERMANNUS PFEIFFER