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Archiv-Artikel

Brasilien setzt auf Burger statt Bäume

Rinderzucht gilt mittlerweile als die wichtigste Ursache für die Zerstörung des Regenwaldes

PORTO ALEGRE taz ■ Die Hiobsbotschaft, im März bereits mehrfach angekündigt, kam letzte Woche. Zwischen August 2002 und August 2003 erreichte die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien das zweithöchste Ausmaß aller Zeiten: 23.750 Quadratkilometer, einmal Mecklenburg-Vorpommern. Die „gute Nachricht“, so Umweltministerin Marina Silva: Im Vergleich zum Vorjahr betrug der Anstieg statt 28 „nur“ noch 12 Prozent.

Damit wurde in den letzten drei Jahrzehnten ein Sechstel des größten zusammenhängenden Regenwaldes der Welt vernichtet. Allein in Brasilien, wo die Hälfte der Amazonasregion liegt, waren es 653.000 Quadratkilometer, mehr als die Iberische Halbinsel. Das wasserreiche Ökosystem mit der größten Artenvielfalt und einem kaum zu ermessenden Einfluss auf das Weltklima bleibt gefährdet. Wird nicht umgesteuert, ist der Wald am Ende des 21. Jahrhunderts verschwunden, mahnt Paulo Mutinho vom Amazonas-Unweltforschungsinstitut Ipam in Belém.

Der größte Teil des begehrten Tropenholzes wird illegal gefällt. Im Rahmen einer verfehlten Landreform zogen hunderttausende Kleinbauern, die durch Brandrodung den nährstoffarmen Boden für die Landwirtschaft urbar machen, an den Rand des Regenwaldes. Multinationale Konzerne sind vor allem an der Förderung von Eisen, Kupfer, Bauxit und anderen mineralischen Bodenschätzen interessiert.

Als die aktuell größte Bedrohung macht Umweltstaatssekretär João Paulo Capobianco jedoch zwei Produktionszweige aus, die in den letzten Jahren die größten Zuwachsraten verzeichnen konnten: den Soja-Anbau und die Rinderzucht, besonders im Flächenstaat Mato Grosso.

Grasende Rinder auf weitläufigen Weiden mit vereinzeltem Buschwerk und spindeldürren, kahlen Baumstämmen – so sieht die „Agrargrenze“ im Norden des Bundesstaates aus. Sie ist ein unaufhaltsam wandernder Puffer zwischen Sojaplantagen und dem Regenwald. 1981 hatte ein britischer Wissenschaftler den Begriff „Hamburger-Connection“ für Zentralamerika geprägt – Brasilien exportierte zu jener Zeit kaum Rindfleisch.

Eine neue Studie des Internationalen Waldforschungszentrums Cifor zeigt, dass sich das mittlerweile gründlich geändert hat: Von 1990 bis 2002 erhöhte sich der Rinderbestand im brasilianischen Amazonasgebiet von 26 auf 57 Millionen Tiere. Das Land setzt auf das Agrobusiness, um einen Teil der für den Schuldendienst nötigen Devisen zu erwirtschaften. Heute exportiert Brasilien fünfmal so viel Rindfleisch wie 1997. Der größte Abnehmer ist die EU. 2002 kaufte sie 198.000 Tonnen Fleisch aus Brasilien. Das sind 34 Prozent der exportierten Gesamtmenge.

Es gibt aber auch positive Signale. Nach Einschätzung Muthinos haben die Brasilianer „als Einzige noch die Chance, ihren Tropenwald zu erhalten“. Mitte März hatte Marina Silva den bisher ehrgeizigsten Regierungsplan gegen die Abholzung des Regenwaldes vorgestellt: So werden die Kontrollen in den gefährdeten Gebieten mit Unterstützung von Polizei und Armee verschärft. 13 Ministerien und die Behörden vor Ort sollen erstmals eng kooperieren.

Doch der Weg zu einer effektiven Kontrolle ist weit: Obwohl allein in Mato Grosso bereits 25 Millionen Dollar für ein aufwändiges Satellitenüberwachungssystem bereitgestellt wurden, geht dort der Kahlschlag am radikalsten voran. Grund sei der „zivile Ungehorsam“ beklagt der Vorsitzende der staatlichen Umweltstiftung Fema und fordert mehr Inspektoren: „Wir haben gerade 13 und brauchten mindestens 100.“ GERHARD DILGER