: China stoppt ersten Riesenstaudamm
Kein Staudammprojekt der Welt sollte so viel Energie liefern wie das am Nu-Fluss. Doch jetzt sagt Peking plötzlich Nein zu dem Megaprojekt. Begründung: Die ökologischen Konsequenzen seien bei den Planungen nicht genug berücksichtigt worden
AUS PEKING GEORG BLUME
Es bedurfte der Flutkatastrophe des Sommers 1998, damit Pekings Kommunisten erstmals die ökologischen Grenzen des Fortschritts erkannten: „Friedrich Engels glaubte, dass die Menschheit die Natur beherrschen könne, indem sie sie verändere“, sagte Partei- und Staatschef Jiang Zemin damals. „Wir aber sollten uns bewusst sein, dass die Menschheit die Natur nicht jenseits der Naturgesetze regieren kann.“ Diese Einsicht hat sich jetzt offenbar auch der neue chinesische Premierminister Wen Jiabao zu Eigen gemacht. Mit einer schriftlichen Weisung an das zuständige Ministerium stoppte Wen schon im Februar das größte Staudammprojekt der Welt. Das berichtete die Pekinger Zeitung Jingji Guanchabao Ostern unter Berufung auf Regierungsquellen.
Dabei begründete Wen den Verzicht explizit mit den ungeklärten ökologischen Folgen des Projekts. „Derartige Großprojekte, die in der Öffentlichkeit hohe Aufmerksamkeit erregen und bei Umweltschützern Kritik hervorrufen, müssen sorgfältig überprüft werden“, zitiert Jingji Guanchabao aus dem Schreiben Wens. Pekings kleine Ökoszene konnte es kaum fassen. „Wens Worte sind ein großer Erfolg für alle Umweltschützer in China“, sagte Zhang Jilian, Büroleiterin der Pekinger Umweltorganisation Friends of Nature, der taz.
Der Beschluss kommt für Gegner und Befürworter des Staudammbaus völlig überraschend. Bereits im vergangenen September sollte mit dem Bau der ersten Kraftwerke am Nu-Fluss in der südostchinesischen Provinz Yunnan begonnen werden. Die Planungen laufen bereits seit vier Jahren und sind heute weitgehend abgeschlossen. Sie sehen 13 Staudämme in den bis zu 2.000 Meter tiefen Schluchten des Nus vor. Sie sollen über Wasserturbinen eine Stromleistung von 21.000 Megawatt bereitstellen – etwa so viel wie 21 Atomkraftwerke und mehr als der bekanntere Dreischluchtendamm am Jangtse, der für eine Stromkapazität von 18.200 Megawatt ausgelegt ist.
Die für den Bau zuständige Yunnan-Huadian-Wasser- und Stromerschließungsgesellschaft wurde bereits im Juni vergangenen Jahres gegründet und mit einem Startkapital von 200 Millionen Yuan ausgestattet. Nach Angaben von Yunnan-Huadian müssten nach den Vereinbarungen mit der Provinzregierung in Yunnan heute bereits sieben Staudämme in Bau sein, doch warte die Firma immer noch auf die erste Baugenehmigung.
Dabei hatte es bei Regierungsanhörungen im Herbst kaum Gegenstimmen gegeben. Provinzgouverneur Xu Rongkai befürwortete den Staudammbau ausdrücklich. Kritiker aus dem Pekinger Umweltministerium fanden kaum Gehör und hatten das Projekt bereits als abgesegnet betrachtet: „Unsere Position lässt sich nicht durchhalten“, sagte ein Ministerialbeamter damals.
Umso erstaunlicher ist, dass der Regierungschef nun persönlich die Verantwortung für den Baustopp übernahm. Doch muss Wens Absage nicht das Ende des Projekts bedeuten. „Noch ist unklar, wie es weitergeht. Für einen totalen Verzicht gibt es keine Anzeichen“, meinte Zhang Jilian von Friends of Nature. Allerdings hielt es der in China derzeit bekannteste Kritiker des Staudammbaus, He Daming vom Institut für Flusserforschung an der Yunnan-Universität, für unwahrscheinlich, dass das Projekt in den nächsten zwei Jahren vorankomme. „Früher hörte man beim Bau von Großprojekten in China nur vom Beginn und von der Einweihung“, sagte ein Mitarbeiter des Pekinger Vermessungsinstituts. „Dass heute jeder seine Meinung äußern darf, bevor etwas passiert, ist ein großer Fortschritt.“
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