: Imam legalisiert Kids
In Essen kümmert sich ein breites Netzwerk um kriminelle Jugendliche. Neben der örtlichen Polizei ist auch der Imam ein Ansprechpartner
VON HOLGER ELFES
Der Stadtteil hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Mitten drin zeugt die aufwendig restaurierte Zeche Zollverein vom einstigen Reichtum Katernbergs. Rings um das zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Denkmal im Essener Norden regieren allerdings Tristesse und sozialer Abstieg.
Ein Nährboden, auf dem auch die Jugendkriminalität gedeiht. Nach dem ähnlich strukturierten Stadtbezirk Altenessen-Süd werden hier regelmäßig die höchsten Täterzahlen ermittelt. Rund 200 jugendliche Täter zwischen 14 und 21 Jahren waren es im Jahr 2002, die Zahl der gemeldeten Delikte mit jugendlicher Täterschaft lag bei 1.476. „Das ist allerdings für Essener Verhältnisse ein durchschnittlicher Wert“, sagt Herbert Czarnyan. Der Jugendkontaktbeamte bei der Polizei in Katernberg ist Teil eines Netzwerks, das hilft, vor Ort Jugendkriminalität effektiv zu bekämpfen.
In einer sich regelmäßig treffenden „Sozialraumkonferenz“ beraten Mitarbeiter von Polizei, Jugendamt, Kindergärten, Jugendzentren, Schulen, Kirchen und Moscheen regelmäßig, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um den Absturz in die Kriminalität zu verhindern. Über 100 Personen und Institutionen gehören zu diesem Netzwerk, das zwar die Jugendkriminalität nicht senken konnte, aber immerhin ist sie auch nicht angestiegen. Rund 30 Prozent der Jugendlichen in Katernberg haben einen Migrationshintergrund, schätzt Herbert Czarnyan. „Kriminalität hat in erster Linie was mit der sozialen Stellung zu tun“, weiß Herbert Czarnyan. Und da im sozialen Brennpunkt Katernberg die deutschen Kids ebenso häufig aus sozial schwachen Familien stammen wie die ausländischen, ist ihr Strafregister auch ebenso hoch.
Meist sind türkische oder arabische Familien sogar ein besserer Ansprechpartner für das Netzwerk als deutsche. Soziale Kontrolle wird hier mitunter noch groß geschrieben. Einflussreich ist auch die moslemische Geistlichkeit vor Ort. Imam Halit Pismek von der türkischen Aya Sofia Moschee ist so ein Ansprechpartner.
Während im Fünf-Minuten-Takt S-Bahnen, IC‘s und schwere Güterzüge direkt hinter seinem Gotteshaus vorbeidonnern, erläutert der Imam seine Vorstellungen vom Islam: „Alles, was das deutsche Strafrecht verbietet, ist auch vom Koran untersagt.“ Dies wolle er den türkischen Jugendlichen vermitteln. Der Erfolg kann sich sehen lassen. Bei einer polizeilichen Aufklärungsveranstaltung zum neuen Waffenrecht kamen jüngst über 60 Jugendliche in die Moschee und hörten aufmerksam zu. „Das gelingt uns in anderen Einrichtungen nicht“, so Herbert Czarnyan anerkennend.
Den Schlüssel für ein friedliches Miteinander sieht Halit Pismek in der Bildung. „Das deutsche Schulsystem tut so, als gäbe es hier nur Muttersprachler“, kritisiert er. Und so organisiert er Deutschkurse in seiner Moschee und gibt islamischen Religionsunterricht, den er im Prinzip lieber an den öffentlichen Schulen angesiedelt sähe.
Radikale islamistische Tendenzen schließt der Imam auch bei den Jugendlichen seiner Gemeinde nicht aus. Allerdings hält er dies eher für ein arabisches als für ein türkisches Problem. „Auf jeden Fall kann sich keiner mit seinen extremistischen Ansichten auf den Koran berufen“, stellt der Anhänger des Euro-Islam klar, „der Islam ist eine tolerante Religion und passt sich der Gesellschaft an und nicht umgekehrt.“