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Archiv-Artikel

„Wer gefährliche Ausländer einfach ausweist, löst kein Problem“, sagt Victor Pfaff

Terrorverdächtige Ausländer raus – und zwar sofort? Wer so redet, macht nur Stimmung. Die Lage ist viel komplexer

taz: Der Hamburger Innensenator Udo Nagel will den angeblichen Terrorhelfer Mounir al-Motassadeq ausweisen, falls er strafrechtlich freigesprochen wird. Ist das zulässig?

Victor Pfaff: Im Prinzip ja. Die Unschuldsvermutung aus dem Strafrecht gilt im Ausländerrecht nicht. Die Ausweisung ist keine Strafe, sondern dient der Gefahrenabwehr. Hier kommt es darauf an, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt.

Al-Motassadeq hat zugegeben, dass er in einem afghanischen Ausbildungslager war, um schießen zu lernen. Er war ein Vertrauter der Attentäter vom 11. September 2001 und teilte zumindest deren Weltsicht. Reicht das nach derzeitigem Recht für eine Ausweisung?

Ja. Vermutlich dürfte ein weiterer Aufenthalt al-Motassadeqs „erhebliche Interessen“ der Bundesrepublik beeinträchtigen, und das macht bereits eine Ausweisung möglich.

Möglich, aber nicht zwingend …

Genau. Ich frage mich wirklich, ob es klug ist, vermeintlich gefährliche Ausländer so schnell wie möglich auszuweisen. Man versucht hier eine Gefahr zu exportieren. Doch wenn sie zurückkommt, ist das ziemlich kontraproduktiv.

Wie meinen Sie das?

Ich sehe nicht den Sinn, vermeintlich gefährliche Ausländer in den Schoß ihrer Terrorfamilie zurückzuschicken. Die Gefahr kommt doch nicht aus Berlin-Mitte, sondern aus Afghanistan, Saudi-Arabien und so weiter.

Die Attentäter von Madrid lebten in Spanien. Sicherheitspolitiker befürworten daher überwiegend schnelle Ausweisungen …

Was Politiker sagen, ist das eine. Die Sicherheitsbehörden dagegen wollen bei der Beobachtung der islamistischen Szene nicht gerne gestört werden. Wenn rigoros abgeschoben wird, ist ihre Arbeit und damit auch ihre Kontrolle schnell zu Ende.

Und die Diskussion über Ausweisung bei bloßem Terrorverdacht ist nur Theaterdonner?

Die Politiker haben übersehen, dass Ausweisungen schon heute relativ leicht möglich sind, da gibt es bis zur rechtsstaatlichen Grenze kaum noch etwas abzusenken.

Achtet die CDU/CSU diese Grenze, wenn sie künftig für eine Ausweisung ausreichen lassen will, dass Tatsachen „die Annahme rechtfertigen“, dass ein Ausländer terroristische Netzwerke unterstützt?

Das ist nicht viel anders als die jetzige Rechtslage. Denn auch heute muss die Unterstützung durch Tatsachen „belegt“ werden. Auch künftig würde ja nicht jeder vage Verdacht genügen, vielmehr müsste die Annahme durch konkrete Tatsachen „gerechtfertigt“ werden.

Innenminister Otto Schily hat jüngst vorgeschlagen, dass ausgewiesene Ausländer, die wegen der Zustände in ihrem Heimatland nicht abgeschoben werden können, in Sicherungshaft genommen werden sollen. Was halten Sie davon?

Nichts. Will man einen Ausländer so lange in Haft nehmen, bis in seinem Heimatland keine Folter mehr droht? Das kann ja möglicherweise Jahrzehnte dauern. So etwas wäre völlig unverhältnismäßig.

Und wenn man, wie bei der Abschiebehaft, eine absolute zeitliche Obergrenze einführt?

Das wäre dann eine ungeeignete Maßnahme. Wenn tatsächlich eine Gefahr besteht, hält die sich eben nicht an zeitliche Obergrenzen.

Was also schlagen Sie vor?

Ich halte die Pflicht, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden, für völlig ausreichend. Ansonsten kann die Ausländerbehörde auch Kontaktverbote zu bestimmten Personen aussprechen oder die politische Betätigung untersagen.

Bayerns Innenminister Beckstein will gefährlichen Ausländern, die nicht abgeschoben werden können, Prepaid-Handys und Verschlüsselungstechnologie im Internet verbieten. Ist das sinnvoll?

Ja, denn so können die Überwachungsmöglichkeiten verbessert werden. Auch das ist einer Sicherungshaft vorzuziehen. Eine Gesetzesänderung halte ich hier nicht für nötig. So etwas kann heute schon gemacht werden.

Was stört Sie am meisten an der aktuellen Ausweisungsdiskussion?

Mich ärgert, dass vor dem Hintergrund der Terrorgefahr ganz andere Ziele durchgesetzt werden sollen. Ich denke an den Vorschlag der Union, bei Verurteilung zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr künftig zwingend auszuweisen. Derzeit muss die Strafe mindestens drei Jahre betragen, früher waren es sogar fünf Jahre.

Was ist Ihre Kritik?

Diese Regel wird kaum Terroristen treffen, sondern vor allem Jugendliche und Heranwachsende aus Einwandererfamilien. Letztlich wird die Integration ganzer Familien in Frage gestellt, wenn plötzlich ein nahes Familienmitglied wieder im Heimatland leben muss. Es müsste hier viel mehr zwischen Ausländern unterschieden werden, die schon lange in Deutschland leben, und solchen, die zum Beispiel nur zum Studium hierher gekommen sind und keine tiefere Bindungen an diese Gesellschaft haben.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH