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Archiv-Artikel

Stratege und Schauindianer

Die Ausstellung über „Sitting Bull und seine Welt“ im Übersee-Museum will mit alten Indianer-Mythen aufräumen. So ganz konnten sich die Macher aber doch nicht von diesen lösen

VON JAN ZIER

Das es eine Ausstellung wie diese über „Sitting Bull“ überhaupt gibt – es widerspricht dem Denken der Lakota-Sioux, deren Häuptling der Mann einst war. Fast schon kommt es einer Störung seiner Totenruhe gleich. Und doch hat Urenkel Earnest Wayne LaPointe selbst seinen Teil dazu beigetragen. „Guten Herzens“, sagt er, kam er nach Bremen, wo „Sitting Bull und seine Welt“ derzeit im Übersee-Museum Europa-Premiere feiert. Es ist seine Mission geworden, über den legendären Urgroßvater zu berichten. Vor allem aber, mit zahlreichen Mythen über Sitting Bull aufzuräumen. Doch ist das nur zum Teil gelungen.

„Als ich ein Knabe war“, soll der 1831 geborene Sitting Bull einmal gesagt haben, „da waren die Sioux die Herren der Welt“. Zumindest jene der Prärie – die Ausstellung nennt sie „fast unbezwingbare Reiterkrieger“. Doch als Sitting Bull 1890 starb, da waren die Indianer nurmehr „Almosenempfänger der weißen Mehrheitsgesellschaft“, sagt Christian Feest, Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien, Kurator der Ausstellung. Und Bruder des 2005 emeritierten Strafrechtsprofessors Johannes Feest von der Uni Bremen.

Das Übersee-Museum zeigt auf rund 800 Quadratmetern gut 200 reproduzierte Fotos und noch einmal so viele Exponate zahlreicher Leihgeber, ein ausgestopftes Bison etwa, Schmuck, Kleider und Waffen. Sie stützen überwiegend das hierzulande weit verbereitete Bild vom indianischen Leben, erzeugen die bekannten Bilder, kamen zumeist aber nie mit Sitting Bull selbst in Berührung. Nur die Hose, die er zum Zeitpunkt seines Todes trug, sie war ein paar Tage ausgestellt – solange eben sein Urenkel auch in der Nähe war.

Die Ausstellung ist in erster Linie eine biographische Zeitreise, deren Begleittexte sich zumeist auf einen kursorischen Überblick beschränken. Bull erscheint darin als Stratege ebenso wie als Schauindianer, als Fortschrittsfeind ebenso wie als Projektionsfläche. Mitunter gehen dabei die divergierenden Ansichten über das, was „wirklich“ war, verloren. Etwa dort, wo es um Sitting Bulls Tod geht. Die Ausstellung spricht hier von einer „missglückten Polizeiaktion“, bei der Sitting Bull lediglich hätte verhaftet werden sollen. Earnest Wayne LaPointe nennt es „Mord“. Doch der Hinweis darauf fehlt.

Feest charakterisiert Sitting Bull als einen „gewieften“ und „geschickten Politiker“, als einen konservativen „Traditionalisten“, der sich jedoch politischen Abmachungen „verweigerte“. Er traute den amerikanischen Politikern nicht, sagt sein Urenkel – und er selbst tue das auch nicht. Der zeitgenössische Biograph und Maler Rudolf Cronau von der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ nannte Sitting Bull gar einen „roten Napoleon“.

Dabei war er gerade an jener Schlacht, die seinen Ruhm mitbegründen sollte, gar nicht beteiligt: Den Sieg über die US-Kavallerie von 1876 am Little Big Horn errangen die Lakota ohne das Zutun Sitting Bulls, der damals schon 45 war – zu alt, um selbst in die Schlacht zu ziehen. Doch die Medien sahen die Schuld für das Debakel bei dem „wilden“ Häuptling, seinem „unversöhnlichen Hass auf den weißen Mann“. Dabei, sagt Feest, sei die US-Armee an jenem Tag nur in eine „selbst gestellte Falle“ gelaufen, aufgestellt von ihrem Oberstleutnant George Custer, der Präsident hatte werden wollen.

Feest will nicht über „die“ Indianer sprechen, sagt er: „Das wäre auch ein Unding.“ Für ihn geht es vielmehr um eine Geschichte der Globalisierung im 19. Jahrhundert. Doch diese Bezüge kommen in der Ausstellung zu kurz. Und das, wo die heroisierende Verehrung der indianischen Kultur gerade in Deutschland besonders groß ist. Sitting Bull selbst war nie in Europa, trat aber 1885 schon gemeinsam mit seinem Widersacher Buffalo Bill in einer US-Show auf. Und verkaufte, sagt Feest, sein Bild nebst Unterschrift für einen Dollar. Den Ertrag hat er aber wohl nicht in erster Linie selbst eingesteckt, sondern sozialisiert.

Earnest Wayne LaPointe hat sich irgendwann selbst daran gemacht, eine „autorisierte“ Biografie von Sitting Bull herauszugeben. Jüngst schloss er die Produktion einer zweiteiligen DVD-Serie ab, die in Teilen auch in der Ausstellung zu sehen ist. Denn einer wie Feest, sagt er, der kennt Sitting Bulls Geschichte doch nur aus Büchern. Für ihn jedoch ist die mündliche Überlieferung viel entscheidender.

Und sie sieht manches anders als die Bücher. Oder setzt andere Schwerpunkte: Für Wayne LaPointes weiße Frau war Sitting Bull ein Poet, der auf einer Stufe mit Goethe stand, dazu ein Medizinmann, aber eben auch ein bescheidener „ganz normaler Familienvater“, der Kinder liebte. Der auf das Wert legte, was Wayne LaPointe „spirituelle Lebensweise“ nennt: Sich gegenseitig zu helfen und alles miteinander zu teilen. Das aber lässt sich schlecht in Ausstellungen präsentieren. Die hiesige Geschichtsschreibung, sagt des Urenkels Frau, würde manches „verzerren“. Und die Lakota „ärgert“ das. Überhaupt sei das Bild von Sitting Bull und seiner Welt „nicht so romantisch“, wie es hier den Anschein habe. Dass dem so ist, liegt auch daran, dass die Gegenwart nur am Rande eine Rolle spielt. Doch Museen, sagt die Frau, „beschäftigen sich eben mit der Vergangenheit“. Es bestehe doch die Gefahr, sagt Wayne LaPointe, „dass unsere Kultur ausstirbt“. Dabei hätten die Indianer ihr Bestes getan, um von der amerikanischen Gesellschaft akzeptiert zu werden. „Aber wir wurden nicht akzeptiert.“

Bis 3. Mai im Übersee-Museum