: Was guckt die Welt an Weihnachten?
An den Feiertagen passiert nicht viel – außer im Fernsehen. Fünf taz-Korrespondenten erzählen, was bei ihnen läuft
Die Weihnachts-Königinnen:
Eigentlich ist sie seine Arbeitgeberin. Aber jedes Jahr zu Weihnachten macht er ihr Konkurrenz: Wenn Königin Elisabeth am ersten Weihnachtsfeiertag nach dem Mittagessen im BBC-Fernsehen ihre Ansprache an die Untertanen hält, jagt der Agent Ihrer Majestät, James Bond, auf anderen Kanälen die Schurken dieser Welt.
Die Agentenstreifen laufen auch in vielen anderen Ländern, aber in Großbritannien bieten sie von London bis Edinburgh sogar James-Bond-Weihnachtspartys an, auf denen man agentenmäßig speisen und danach sein Wechselgeld im Casino verspielen oder mit Laserkanonen auf Gangster schießen kann.
Ein Bond-Streifen ist allemal interessanter als die Queen-Ansprache, nur noch Hardcore-Monarchisten tun sich die an. Eine Zeitung schlug sogar Gesellschaftsspiele vor, mit denen man sich die Zeit während der Queen-Rede vertreiben könne. Nur einmal saß die Nation gebannt vor dem Fernseher, um der Regentin zu lauschen, aber das ist schon 16 Jahre her. Damals, 1992, hatte sie ein annus horribilis hinter sich. Es war ihr 40. Thronjubiläum, aber zum Feiern war ihr nicht zumute.
Wochenlang hatten die Zeitungen nicht nur über das Intimleben ihrer beiden Schwiegertöchter Fergie und Diana berichtet, sondern auch über das ihrer Mutter während des Zweiten Weltkriegs. Dann ging auch noch ihre Lieblingsresidenz, das mittelalterliche Windsor Castle, in Flammen auf. Dass ihre aufgezeichnete Ansprache aus dem Studio geklaut wurde, rundete das Schreckensjahr ab: Am nächsten Tag konnten die Untertanen das königliche Gewinsel über das gnadenlose Schicksal ausgerechnet im Gossenblatt Sun wortwörtlich nachlesen.
Die trübselige Rede inspirierte Channel 4 dazu, eine alternative Queen-Rede anzubieten. Seit 1993 haben so unterschiedliche Figuren wie Brigitte Bardot und Marge Simpson die royale Ansprache gehalten. Wer es in diesem Jahr sein wird, ist noch geheim. Favorit bei den Buchmachern sind die Musikerin Amy Winehouse und die Skandalnudel Russel Brand, ein unkomischer Komiker.
Diesmal bekommt Channel 4 allerdings Konkurrenz von ITV, wo am Weihnachtstag ebenfalls eine alternative Queen-Ansprache gehalten wird – und zwar von „Monkey“, einem Strickaffen aus grauer Wolle. Das Maskottchen einer Teefirma sieht mit grauer Perücke, weißer Robe, Perlenkette und Schärpe der echten Queen erschreckend ähnlich. Hoffentlich verwechseln die Untertanen die beiden Reden nicht. Ralf Sotscheck, Dublin
Lacher statt Kracher:
Das war mal eine schöne Zeit, früher, in Rom an den Weihnachtstagen vor dem Fernsehschirm. Draußen auf den Straßen oder bei den Nachbarn mochte es besinnlich zugehen – doch im eigenen Wohnzimmer gab es Action, Blut, Schießereien und Kettensägenmassaker. Die Helden hießen Bruce Willis oder Clint Eastwood. Zwischendurch ein bisschen Papst, aber den hat man in Italien sowieso fast täglich im Programm.
Entsprechend groß ist die Vorfreude beim Blick in die Programmzeitschrift – doch welche Enttäuschung! Natale, natale, natale springt mich Titel um Titel an – mal ein Weihnachtskonzert, dann die Weihnachtsmesse, starring Joseph Ratzinger; auf dem anderen Kanal, bei Berlusconi, die Komödie „Ich heirate an Weihnachten“, gleich vorher, angeblich auch aus dem Komödienfach, „Die wahren Weihnachtslichter“, danach zur Abwechslung „Endlich Weihnachten“, schon wieder Komödie, und gleich weiter mit „Weihnachtsmann sucht Frau“. Wenigstens die Kleinen kriegen mit „Findet Nemo“, mit „Shrek 3“ oder mit „Cars“ etwas härtere Kost geboten. Auch die staatliche RAI geht wohl davon aus, dass die Großen vor lauter Weihnachtsmännern die Flucht antreten und dem Nachwuchs bis spät in die Nacht die Fernbedienung überlassen: „Findet Nemo“ wird kindgerecht um 22 Uhr ausgestrahlt; um 23.45 können die Kids dann zum „Marsch der Pinguine“ rüberzappen.
Ich dagegen muss mich mit Miss Marple und dem „Mord im Zug“ bescheiden. Oder doch nicht? Endlich fällt mein Blick auf Clint Eastwood. Ihm gehört der ganze Heilige Abend auf dem Sender La7. Leider bloß mit einer Komödie: „Bronco Billy“. Da schaue ich mir lieber das „Drama“ am Nachmittag an: die „wahre Geschichte des Weihnachtsmanns“. Michael Braun, Rom
Audienz beim Schnulzenkönig:
Am ersten Weihnachtsfeiertag regiert in Brasiliens Wohnstuben „o Rei“ – der König. Zur besten Sendezeit bringt TV Globo das vorab produzierte Konzert von Roberto Carlos – und das schon seit Jahrzehnten. Der mittlerweile 67-jährige Schnulzenbarde mit der Vokuhila-Frisur, dem der gleichnamige Fußballer seinen Namen verdankt, ist eine nationale Institution. In geradezu königlichen Ritualen erstarrt leider auch seine Globo-Show: Zum Auftakt präsentiert RC unweigerlich den Evergreen „Emoções“ (Gefühle), begrüßt das Publikum mit „Was für ein Vergnüngen“, einen Song bringt er zwei Mal, und am Schluss verteilt er Rosen.
Für den immer gleichen, streicher- und bläsergeschwängerten Sound sorgt eine Big Band. Bühnenbild und Lightshow sind an Kitsch kaum zu überbieten. Für die einzige Abwechslung sorgen prominente Gäste: letztes Jahr Gilberto Gil, diesmal Rocklady Rita Lee und Caetano Veloso, mit dem Roberto Carlos eine Bossa-Nova-CD eingespielt hat. Doch gerade die gemeinsamen Auftritte mit den Größen seiner Generation lassen den Gastgeber besonders alt aussehen. Dabei hatte er in den 60er-Jahren an der Spitze von Brasiliens „Junger Garde“ den Rock ’n’ Roll salonfähig gemacht. Mit seiner Hinwendung zu Herz-und-Schmerz-Schlagern und religiösen Ohrwürmern eroberte Roberto Carlos in den Siebzigern ganz Lateinamerika.
Vor einem Jahr scheiterten Gilberto Gils Versuche, Schwung in die Show zu bringen, an RCs erstaunlich hölzernem Auftreten. Dieses Jahr erging es Rita Lee, der Sängerin der verblichenen Kultband „Mutantes“, nicht besser. Seine Millionengemeinde wird das nicht stören. Nach dem abschließenden „Jesus Cristo“ kann man sich beruhigt ins Bett sinken lassen. Roberto Carlos gehört eben zur brasilianischen Weihnachtsinszenierung wie die Nikoläuse und kunstschneebedeckten Christbäume in den „Shoppings“.Gerhard Dilger, Porto Alegre
Kalle ist Weihnachten:
Was haben Susi und Strolch und der Stier Ferdinand mit Weihnachten zu tun? Keine Frage in Schweden. Sie sind Weihnachten – genau wie Donald, Mickey, Pluto, Goofy und all die anderen Disneyfiguren. „Kalle Ankas Jul“ – „Donald Ducks Weihnachten“ – prägt laut Umfragen den zeitlichen Ablauf des typischen Heiligabends mehr als das traditionelle Essen oder die Bescherung.
Die einstündige Sendung läuft jetzt im 49. Jahr und besteht seit 1983 aus den immer gleichen Ausschnitten aus Walt Disneys Zeichentrickklassikern. Auch wenn sich das TV-Umfeld seit den Zeiten des staatlichen Monopolfernsehens massiv verändert hat – „Kalle Anka“ hat seinen Status behalten. Bis Ende der 90er-Jahr für Jahr unangefochtener Quotenkönig, rangiert die Sendung jetzt immer noch regelmäßig unter den ersten drei und flimmert über beinahe jedes zweite schwedische Fernsehgerät.
Als SVT, das schwedische Öffentlich-Rechtliche, „Kalle“ vor einigen Jahren mit der Begründung aus dem Programm nehmen wollte, die von Disney geforderten Lizenzgebühren seien unverschämt hoch geworden, brach ein Sturm der Entrüstung los. Kein Schwede käme auf die Idee, gerade in dieser „heiligen“ Stunde jemanden mit telefonischen Weihnachtswünschen belästigen zu müssen. Klingelt an Heiligabend zwischen 15 und 16 Uhr also mein Telefon, kann ich absolut sicher sein: Da ist jemand aus Deutschland in der Leitung! Reinhard Wolff, Stockholm
Christmas ist diskriminierend
Fernsehgucken ist eine Herausforderung in den USA. Mein winzig klein gedrucktes TV-Programm umfasst acht Seiten – täglich. Die sind gefüllt mit komplizierten Sendeschemata, Statistiken, Sternchen-Kategorien und Kurzbeschreibungen zu 90 Kanälen. Und ich sehe den TV-Wald vor lauter Bäumen nicht. Daher hangele ich mich entlang einiger ausgelatschter, aber sicherer Fernsehpfade. Die Wanderung geht dann so: Wenn immer es geht, müssen Jon Steward und Stephen Colbert geschaut werden. Sie, die Kabarettisten und Komiker, erklären mir die USA. Doch über die Feiertage machen auch sie Pause. Schließlich sind die Kongressabgeordneten auch zu Hause, da gibt es natürlich wenig, worüber man mit bitterem Ingrimm auflachten möchte. Ich hätte dran denken sollen.
Denn der Rest des Holiday-Programms (Psst! Niemals Christmas sagen, ist diskriminierend!), ist angsterweckend. Da laufen „Der Polarexpress“ und ungefähr drei Millionen Filme, die das Wort „Santa Claus“ im Titel tragen. Bizarr. Für die US-Filmproduzenten ist Weihnachten offensichtlich die Saison exzentrischer Zwerge und für opulente Kaufhaussagas mit dem Tiefgang einer Spanplatte. Okay, dazwischen, für die lieben Kleinen: „Lethal Injection“ und andere haarsträubende Movies, die meist reale Vorlagen aus den Untiefen der US-Gesellschaft haben. Für mich gibt’s daher nach Stewart und Colbert meist nur noch den Science-Fiction-Kanal. Hier habe ich immer wieder das Glück, auf „Battlestar Galactica“ zu treffen, eine wirklich hervorragend gemachte und gespielte SiFi-Serie über das Überleben fern der Erde. Da finde ich mich wieder. Denn Leben ohne Arte, 3sat und auch die Öffentlich-Rechtlichen ist wirklich verdammt schwer. Adrienne Woltersdorf, Washington