■ Nachlese zu Kirchentag und kirchentaz : Vom Teilen, Lieben und Morden
betr.: „Liebe deinen Nächsten“ taz vom 28. 5., „Losungsgesättigte Gesichter“, Die Wahrheit vom 2. 6. 03, und weitere Artikel
Wie soll das Teilen, das die Christen anmahnen, eigentlich genau funktionieren? „Das Brot brechen“ ist ja vermutlich im übertragenen Sinne gemeint – es könnten auch Hamburger, Müsliriegel und Blumenkohlschnitzel sein. Für den Erwerbslosen, der mit den Raten für das Reihenhaus in Rückstand gerät, ist ein halbes Schnitzel natürlich etwas dürftig. Aber gleich den halben Job hergeben? Oder gar den halben Sozialstandard abtreten, damit ehrgeizige, sich entwickelnde Länder eine Chance auf dem Weltmarkt haben? Das wäre total ungerecht!
Deshalb glaube ich eher denen, die behaupten, dass auf dem Kirchentag das „umver“ vor dem „teilen“ weggenuschelt wurde. Wer viel hat – der soll viel teilen: Manager, Aufsichtsräte, Milliardäre. Herr Aldi kann ruhig die Hälfte seiner Läden hergeben und die Waren an die Not leidenden Arbeitslosen, Renter, Alleinerziehenden, Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte verteilen. So wäre allen geholfen! Hergeben ist gut, Haben ist böse – vor allem dann, wenn in Deutschland verdientes Geld mit Ausländern geteilt wird, weil man die Fabriken im Ausland baut. Soll man doch Tschechien lieber mit Altkleidern unterstützen statt mit Investitionen! Die EU geht mit gutem Beispiel voran. Zu Dumpingpreisen verteilt sie die überschüssigen, mit komfortabelsten Sozialstandards erzeugten Nahrungsmittel in aller Welt. Da lohnt sich selbst in Bangladesch die Arbeit nicht mehr!
Ach je! Mir wird ganz schwiemelig vom Nachdenken über die Frage, wie der Trick vom Teilen genau gemeint ist. Wo ist der Gott, der mir hilft, wenn’s konkret wird? Macht jedes Brot, das ich teile, einen Bäcker arbeitslos? Die Welt ist so kompliziert. Aber immerhin haben sich die Christen die Kosten des Kirchentages brüderlich auch mit unchristlichen Steuerzahlern geteilt. Nichts ist schöner als ein Geschenk der Allgemeinheit. Friede sei mit euch! Gelobt sei Jesus Christus! KLAUS WESTERMANN, Neu-Edingen
Muss so ein blöder Artikel wie der von W. Droste auf der letzten Seite der taz vom 2. Juni, „Losungsgesättigte Gesichter“, wirklich sein? Ich bin – mit Leidenschaft – evangelische Pfarrerin und bekennende taz-Leserin (und -Genossin!). Ich habe schon taz-Leserinnen geworben und verschenke immer mal wieder ein Abo. Meine Gemeinde ist daran gewöhnt, dass ich in Predigten die taz zitiere. Über das Kirchentagsengagement der taz habe ich mich sehr gefreut. Aber bisweilen ärgere ich mich sehr – über so einen verkrampft-witzigen, schnoddrigen und dabei meine Gefühle und meinen Geschmack verletzenden Stil.
Ich kann inzwischen, vor allem wegen der Afrika-Berichte, die ich sonst nirgends finde, kaum noch auf die taz verzichten. Aber bald ist meine Toleranzgrenze erreicht.
ANDREA BAUER, Darmstadt
Was Wiglaf Droste als Verarsche tarnt („Herr Jesus wurde mitgegart / und blubberte im Sud“), ist keineswegs so originell, wie die LeserInnen sicher denken sollen. Schon der Texter von J. S. Bachs Kantate Nr. 4 reimte, Christus sei „hoch an des Kreuzes Stamm in heißer Lieb gebraten.“ – W. D. wiederholt also das Opfer Christi am Kreuz in seiner Küche. Ertappt: Der Mann ist katholisch!
HANS-PETER GENSICHEN, Wittenberg
Selbst wenn ich berücksichtige, was Jan Feddersen schreibt, nämlich dass viele Kirchentagsbesucher zum „Cruising“ nach Berlin gekommen sind, jagen mir diese Menschenmassen mit Kreuzen um den Hals Angst ein. Warum kein Galgenstrick als Kette oder eine Mini-Giftspritze am Handgelenk? Himmelherrgottsakra! Begreift diese Menge immer noch nicht, dass das Christentum eine gigantische Märchenreligion ist, und zwar die blutigste und brutalste von allen Weltreligionen?
Was ist nur in die taz-Redaktion gefahren, wenn einer ihrer Redakteure schreibt, wir alle seien Erben Abrahams? Abraham ist eine Märchenfigur. Sein stupides Verhalten (heute käme er sofort in eine geschlossene Anstalt) bedeutet nichts anderes als die Aufforderung an die Gläubigen, für ihren Glauben alles zu tun, auch zu morden. Von Abraham leiten die drei Religionen, die sich auf ihn berufen, den bedingungslosen, den blinden Glaubensgehorsam ab, der jedes vernünftige Nachdenken überflüssig macht.
Dank der durchaus genialen Abraham-Geschichte glaubt George W. Bush, im Auftrag Gottes gegen das Böse zu handeln, wenn er Bomben auf den Irak werfen lässt. In den Vereinigten Staaten lassen sich übrigens ganze Bibliotheken mit Gerichtsakten über verwirrte Männer füllen, die eine „Stimme Gottes“ vernahmen und wie Abraham ihre Kinder umbrachten, weil ihnen leider kein rettender Engel in den Arm fiel. Ausgerechnet von diesem „Stammvater“ sollen wir uns „ein wenig von Abrahams Entschiedenheit“ für die Erziehung unserer Kinder nehmen, heißt es dann in dem taz-Bericht. Seid jetzt auch ihr am Durchdrehen dran? WERNER ALBERTS, Essen
Vielen Dank für euer Engagement auf dem Kirchentag: am Tempodrom und in den Messehallen täglich eine druckfrische kirchentaz sowie ein kostenloses Bike, um den überfüllten BVG-Bahnen entradeln zu können!
Doch ein Wermutstropfen bleibt: Hat euch die fröhliche, nächstenliebende Atmosphäre so entrückt, dass ihr seitenweise gefühlsduselige Artikel schreiben musstet („Liebe deinen Nächsten“, „Im Gespräch mit zugereisten Christinnen“, „Eine schöne Party. Amen“)? Bei allem Verständnis für die Anziehungskraft gläubiger Christinnen auf beziehungskampferprobte taz-Reporter: Der Kirchentag hatte deutlich mehr zu bieten als die im Blätterwald insgesamt anzutreffende Kuschelstimmung. Wo war zum Beispiel ein Artikel über die vehemente Kritik Eugen Drewermanns und anderer ChristInnen an dem neokolonialen Imperialismus der USA? Warum hatte Friedrich Schorlemmer keinen Raum für seine Forderung, den Ausbau von Elbe und Saale zu stoppen? TOBIAS POHL, Frankfurt am Main
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzung von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.