: Die amerikanische Idee
Wolfram Eilenbergers Buch „This is not America“ bilanziert mit Gesprächen, die er mit US-amerikanischen Intellektuellen führte, die depressive Skepsis, die die Ära George W. Bush stiftete
Wenige Tage nach dem Wahlsieg Barack Obamas war Joan Didion zu Gast in der New Yorker Public Library, um Antwort auf die Frage des Abends zu geben: „Und nun?“ Die in ihrem Land unter Intellektuellen berühmte Essayistin hinterließ nach ihren Ausführungen ein verstörtes Publikum. Was sie momentan nach dem Sieg über George W. Bushs Ära beobachte, so Didion, sei von einem gruseligen Schwarmgeist erfüllt, von Religiosität, ähnlich der einer frisch initiierten Sekte.
Und ohne es auszusprechen, interpretierte das Publikum, das Who’s who der Liberalen der Ostküste, das auf Einladung der New York Review of Books gekommen war, ihre These zutreffend: Diese Art der Anbetung eines siegreichen Kandidaten sei im Kern nicht zu unterscheiden von jener messianisch anmutenden Hoffnung, die die konservative Wählerschaft mit dem Sieg Bushs verband. Idealismus aber, so Didion, stehe den uramerikanischen Tugenden wie Pragmatismus und dem Verzicht auf die Feindschaft gegen den politischen Kontrahenten strikt entgegen.
Didion kann so verstanden werden: Jene, die in Obama einen Heiland auf Erden erkennen wollen, geben sich als Kinder Bushs zu erkennen – infiziert vom unamerikanischen Willen zur Transzendenz auf Erden. Das Publikum in der legendären Bücherei im Herzen Manhattans reagierte unwirsch auf die Bemerkungen Didions.
Diese Bemerkungen müssen vorangeschickt werden, um das Dokument begreiflicher zu machen, das nun Wolfram Eilenberger als Herausgeber schon vor den US-Präsidentschaftswahlen veröffentlicht hat. „This is not America“ heißt sein Buch, für das er Interviews mit US-amerikanischen Geistesgrößen für das deutsche Magazin Cicero geführt hat. Im Vorwort schreibt Eilenberger, den Bekundungen seiner GesprächspartnerInnen sei gemein, dass sie ihre jeweilige „Kritik eines Versprechens“ übten. Kritik an dem Versprechen von Amerika schlechthin, dem von Rede- und Meinungsfreiheit, dem von der Trennung von Politik und Religion, und an dem, was der US-Philosoph William James 1897 zu seinem Land so formulierte: „Was sollen wir tun? Seid stark und guten Mutes! Hofft auf das Beste und handelt danach! Denn selbst wenn es das Ende bedeutet, es gibt keine Möglichkeit, dem Tode besser zu begegnen.“
Amerika als Idee von einem besseren, freieren Leben: Eilenberger konfrontiert seine Interviewten mit diesem Maßstab. Mit den Philosophen Richard Rorty, Stanley Cavell, dem Politologen Samuel P. Huntington, Richard Sennett, der Philosophin Martha Nussbaum und dem Politikwissenschaftler Harry G. Frankfurt hat er gesprochen. Während Rorty aller gemeinsamen Aversion gegen die Perversionen der Bush-Jahre zum Trotz darauf beharrt, dass der internationale Terrorismus keine Erfindung der USA sei und auch bei einer Präsidentschaft eines Demokraten nicht an Bedeutsamkeit verliert, hofft Cavell auf eine aufklärerische Stimme, die die Nation wieder eint, wenigstens jene Gräben zuschüttet, die sich seit den mittleren Sechzigerjahren auftun. Allein, so sein nüchternes Fazit, eine solche Figur gebe es nicht – es wäre interessant, zu wissen, ob Cavell in Obama diese wiedervereinigende Stimme erkennen möchte. Von Huntington sind bekannte Positionen zu erfahren – mit dem Unterschied, dass er die Assimilation von Einwanderern aus spanischsprachigen Ländern nicht mehr für eine unüberwindliche Gefahr für die Idee Amerikas hält: Er hofft – und das ist für einen Politikkader wie ihn womöglich eine weitgehende Änderung seiner bislang bekannten Haltungen.
Die Philosophin Martha Nussbaum erläutert an dem Umstand, dass die USA sich durch Besiedelung, von Osten nach Westen, vergrößerten und deshalb dieser Frontiergeist immer noch eine Konstante im Gemüt dieses Landes sei, inwiefern Amerika dem Machohaften stärker gewogen ist als dem, was Frauen zugeschrieben wird.
Harry G. Frankfurt fand Gefallen an John McCain: Er habe das butterweiche Geplapper der öffentlichen Rede in den USA mit deutlichen Worten konterkariert – ihm gebühre Lob, weil er sich nicht an den Comment der politischen Korrektheit gehalten habe, die in jedem der Lager anders definiert werde.
Richard Sennett schließlich diagnostiziert in den USA einen eklatanten Verlust handwerklicher Kompetenz – die Arbeit, die noch als solche erkennbar sei, werde mehr und mehr in Länder verlagert, die billigere Löhne zahlen könnten. Er hoffte, natürlich, auf einen Wechsel der politischen Hegemonie.
Was sie alle eint, ist eine Art Skepsis: ob das, was die (schlechte) Sache sei, überhaupt einem Lager anzulasten sei; ob, anders gesagt, eine demokratische Präsidentschaft mehr bedeute als ein Austausch von Figuren. Barack Obama, so ließe sich spekulieren, deutet freilich bereits jetzt an, dass er sich auf die Macht ebenso versteht wie auf das Ausbalancieren von Interessen, wobei sich keine Seite gegen die jeweils andere völlig durchsetzen kann. Schade, dass die Interviews beendet wurden, ehe der reale Wahlkampf begonnen hatte, im Spätsommer. Ebenso bedauerlich ist, dass man eine Fülle von Stimmen vermisst, etwa aus dem Lager der Neokonservativen, die die Agenda Bushs heftig mitbestimmt haben. Oder solche wie die der US-Politologin Angela Davis. Sie hätte eine andere Farbe in diese Palette gebracht – möglicherweise fundamental gegen die Idee, dass es in einem Wahlkampf um die Präsidentschaft überhaupt ernsthaft um etwas geht.
Das Buch ist trotzdem zu empfehlen: Vor allem wegen der gediegenen Gelassenheit, mit der diese US-DenkerInnen ihr Land kenntlich zu machen suchen. Ihr Motto scheint zu sein: Es gleicht sich wieder aus, es tariert sich aus – so war Amerika, und so wird es bleiben.
JAN FEDDERSEN
Wolfram Eilenberger (Hrsg.): „This is not America“. Matthes & Seitz, Berlin 2008, 118 Seiten, 12,80 Euro