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Archiv-Artikel

Wie Verbrecher hinterm Zaun

Seit jahren wartet ein armenisch-aserbaidschanisches Paar in Neumünster darauf, dass über seinen Asylantrag entschieden wird. Dass sich die Eheleute hier integrieren, ist währenddessen nicht erwünscht

VON ESTHER GEISSLINGER

Das Reich von Merik und Levon Davidjan ist schnell überschaut: Ein Bett in der einen Ecke, ein Fernseher in der anderen, dazwischen eine Kommode, auf der zwischen zwei Kerzen eine Ikone steht. Vitrinenschränke, hinter deren Glastüren Porzellantässchen blinken, eine Sofaecke. „Das meiste stammt vom Schrott“, sagt Levon Davidjan und hebt die Schultern. „Ein paar Sachen haben wir geschenkt bekommen.“

Seit drei Jahren leben sie hier – „drei Jahre, einen Monat“, präzisiert Merik Davidjan. Sie ist eine schmale Frau mit schwarzem Haar und ausdrucksvollem Gesicht, das schön wäre ohne die Müdigkeit in den dunklen Augen. Aber das Leben ist anstrengend in diesem Zimmer, in diesem Haus, an diesem Ort, der zentralen Flüchtlingsunterkunft des Landes Schleswig-Holstein in Neumünster. Das Ehepaar, das aus Baku in Aserbaidschan stammt, gehört zu den einigen hundert Menschen, die in den Gebäuden einer ehemaligen Kaserne untergebracht sind.

1937 wurde die Scholz-Kaserne eingeweiht, nach Kriegsende zogen US-Soldaten ein, 1957 folgte eine Panzerdivision der noch jungen Bundeswehr. 1997 übernahm das Land Schleswig-Holstein die Gebäude, um eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende zu eröffnen, zuständig ist das Landesamt für Ausländerangelegenheiten. „Lager“ nennen die Bewohner das mit einem hohen Gitterzaun umsäumte Gelände: „Der Zaun ist das Schlimmste“, sagt Levon Davidjan. „Wozu soll der gut sein?“

Auf der weiten Fläche stehen mehrere Backsteinhäuser, die alten Kasernen. Drinnen hallende, hohe Flure, immerhin frisch gelb gestrichen. Pro Flur drei Duschen ohne Vorhänge und drei Waschbecken für rund 30 Personen. Wer zur Toilette geht, muss Papier mitbringen. Einige Kinder spielen auf den Fluren. Frauen gehen mit Geschirr oder Kleidung zu den Waschräumen.

Dabei sollen sie eigentlich gar nicht kochen: Essen gibt es in einem Flachbau zwischen den Häusern zu festgelegten Zeiten. Wer zu spät kommt, bleibt hungrig. „Das eintönige Essen“, sagt Levon Davidjan. „Ich weiß schon, was es morgen, übermorgen und kommenden Monat gibt.“ Mittwochs steht Huhn auf dem Speiseplan.

Kein Zuhause

Die Unterkunft soll nicht gemütlich sein, sie soll kein Zuhause sein: Erklärtes Ziel des Landes ist, Menschen, deren Abschiebung wahrscheinlich ist, nicht zu integrieren. Das solle es ihnen erleichtern, nach der Abschiebung anderswo Fuß zu fassen. Flüchtlingsorganisationen und Beratungsstellen beklagen jedoch seit Jahren, dass die Zustände in der Sammelunterkunft krank machen. Auch hätten viele der dort Untergebrachten durchaus eine Chance zu bleiben – sie sollten daher dezentral untergebracht werden, um die Chance zu haben, Deutsch zu lernen und Arbeit zu finden.

„Wir wollen keine Sozialhilfe, wir wollen arbeiten, ein normales Leben führen“, sagt Merik Davidjan. Die 23-Jährige träumt vom eigenen Friseursalon. Ihr Mann ist Monteur: „Ich kann alles machen, ich bin stark.“ Deutschland brauche doch junge Menschen, meint der 27-Jährige: „Aber statt etwas zu leisten und Steuern zu zahlen, sitzen wir hier.“ Wer weiß, wie lange noch.

Das Paar – er Armenier, sie Aserbaidschanerin – stecke in einem Teufelskreis fest, klagt Davidjan: Sie haben auf der Flucht aus Baku ihre Pässe verloren, schlugen sich eine Zeit in Russland durch und reisten weiter nach Deutschland – ein Zufall eigentlich, es hätte jedes Land sein können. In Deutschland wurden sie für staatenlos erklärt: „Man kann uns nicht ausweisen, weil kein Land uns nimmt. Aber einbürgern oder uns einen anderen Status geben will man auch nicht“, sagt Levon Davidjan.

Es hat Befragungen gegeben, Vertreter der Konsulate waren da, um zu prüfen, aus welchem Land sie wohl stammen: „Dabei haben wir alles gesagt und alle Beweise vorgelegt, die wir haben“, sagt Davidjan. Doch in Baku wurden Unterlagen über armenische Bewohner vernichtet. Vermutlich existiert nicht einmal mehr eine Geburtsurkunde. Der Herkunftsstaat hat kein Interesse an dem Paar. Aber die Bundesrepublik nimmt Menschen aus Armenien oder Aserbaidschan nicht auf. „Sie prüfen seit Jahren, ohne dass es vorangeht“, sagt Davidjan.

Zweimal ist er in den Hungerstreik getreten, um bessere Bedingungen in der Unterkunft zu erstreiten. „Wir wollen eine Liste mit unseren Rechten und Pflichten“, sagt er. „Zurzeit erfährt man nur von einem Gesetz, wenn man es zufällig bricht.“

Hilflos ausgeliefert

Ihr Leben ist danach ein wenig besser geworden, aber das Grundübel bleibt: das leere Leben zwischen dem Zimmer, den hallenden Fluren, dem Speisesaal und der Stadt vor dem Zaun, für deren Freuden die Menschen aus der Unterkunft zu wenig Geld haben. Und das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein: „Wenn man im Gefängnis sitzt, weiß man, wie lange. Hier gibt es keine Frist.“

Davidjan trat vor wenigen Wochen erneut in Hungerstreik, diesmal, um eine Entscheidung in seinem Fall zu beschleunigen. Nach einem Gespräch hat er wieder begonnen zu essen. Aber nach Neujahr, wenn sich nichts ändert, könnte er weitermachen.