: Jeder Film ein kleiner Tod
Ironisch relativierte Hinterhofromantik: In „E. K. G. Expositus“ verbindet Michael Brynntrupeinige seiner früheren Arbeiten zu einem Essayfilm über künstlerische und öffentliche Medien
VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
Michael Brynntrup ist in der Welt der Kurzfilme und Kurzfilmfestivals kein Unbekannter. Auch den Medienkünstler kennen manche. Nun hat er sich ein Portfolio für jenes Publikum ausgedacht, das nach den Einheiten verlangt: einen Feature-Film, der drei seiner Kurzfilme und zwei seiner Medienexperimente integriert. Erst bereitet uns eine etwas arg forciert lustige Rahmenhandlung mit schwulen Krankenhauswitzen auf den Tod eines verletzt eingelieferten Filmemachers vor: Ein Rückblick erzählt dann vom Leben und Wirken Brynntrups. Weitere Elemente der Rahmenhandlung stellen sich ein. Zwei Fernsehteams interessieren sich für den Künstler, der deren Fragen für grundsätzliche Erklärungen zu vor allem zwei Themen nutzt.
Das eine Thema ist der Unterschied zwischen künstlerischer und kommerziell-massenkommunikativer Medienarbeit, das den Untertitel des Films liefert: „Die künstlerischen und die öffentlichen Medien“. Das zweite Interesse gilt dem Unterschied zwischen der biografischen Selbstdarstellung des Menschen Brynntrup mithilfe künstlerischer Mediennutzung und der konzeptualistischen Selbstdarstellung des Filmemachers Brynntrup. Beide Anliegen werden sowohl vorgeführt wie vorgetragen. Letzteres mit einer Selbstironie, die ebenso oft sympathische Züge hat, wie sie als Relativierung und Rückzug rüberkommt, als Entscheidung, es so genau nicht wissen zu wollen.
Zwei in „E. K. G. Expositus“ eingearbeitete frühere Filme Brynntrups illustrieren die unterschiedlichen Formen, künstlerisch von sich selbst zu sprechen. Das so traurige und kämpferische wie intime Porträt des an Aids sterbenskranken Fotografen Jürgen Baldiga und die eher heitere, aber nicht minder intime Chronique amoureuse, „Loversfilm“: Brynntrups medienreflexiv ausgearbeitete Liste aller Lover seines Lebens anhand von gefundenen und gemachten Fotografien und eines lustigen Fußballpornos. Das dabei verletzte Recht der Betroffenen an ihrem eigenen Bild oder das Selbstverständnis des Filmemachers, sich der Tradition des bildenden Künstlers näher zu fühlen als der des Illusionskinos, sind kurz angerissene Themen, die aber durch die strikte Selbstverpflichtung auf den Charme der Beiläufigkeit nicht richtig entwickelt werden.
Eine ständig vorgeführte Einsicht dieses Films ist die in die Nichtneutralität des Medialen. In einer Zeit, wo die Spannung zwischen filmenden bildenden Künstlern und Filmern, die an Kunstorten operieren, oft anhand von materialbezogenen Fragen diskutiert wird, zeigt Brynntrup, dass und wie solche Neutralität Ideologie bleiben muss. Von zwei Seiten wird diese falsifiziert, von ihren Gegenständen und vom Material selbst, das sich als ewige Reihe vorläufiger, ständig ausgetauschter Industriestandards erweist. Wie alle Waren übersetzen sich deren vorgeblich rein mediale Eigenschaften schnell in geldwerte Hierarchien von State of the Art bis Trash.
Von der Seite der Gegenstände wird die mögliche Neutralität eines solchen Medienverständnisses noch dramatischer – und auch politischer – angegriffen, wenn die porträtierten Personen, wie Baldiga gegenüber Brynntrup, schon beim Gefilmtwerden ihren nahen Tod ankündigen und der Regisseur später davon spricht, mithilfe der Filmarbeit Erinnerungen zu bewahren. Godards Bonmot, Filmen heiße dem Tod bei der Arbeit zusehen, und der von Barthes beschworene notorische Zusammenhang zwischen Tod und Fotografie ragen so, aus ihrem schöngeistigen Status herausgerissen, als ergänzend brisanter Diskurskontrast in das vom Film aufgemachte Feld.
Dieser Konstellation setzt Brynntrup aber eine persönliche Strategie aus Scheu und Ironie entgegen, die die Filmarbeit offensichtlich am liebsten aus den Konsequenzen dieser Komplexität heraus auf den persönlichen Umgang mit einem individuellen Medium runterfahren würde, auf eine Art filmische Akustikgitarre oder eben das Handwerkszeug des traditionellen Künstlers, mit dem er sich vergleicht. Dieser Versuch, den Filmemacher als einzelne handelnde Person jenseits institutioneller und industrieller Zusammenhänge aufzusuchen, widerspricht aber in ihrer Hinterhofromantik der bereits vorgeführten Problemkonstellationen. Man kann schlecht hinter die Probleme zurück, die damit zu tun haben, dass Film eine arbeitsteilige Kunst ist. Wenn man also nicht zwischen den künstlerischen und den öffentlichen Medien steht, sondern die einen gut und unkorrupt sind, die anderen aber bloß die Verlängerung der Institutionen repräsentieren, wo ist dann das Problem? Am Schluss wird noch mal ins Krankenhaus geschaltet.
„E. K. G. Expositus“. Regie: Michael Brynntrup. Mit Michael Brynntrup, Bernhard Bieniek, Jochen Paul. D 2004, 101 Min.