Armin Simon über das Zwischenlager Gorleben

Die leckende Illusion

Der Wachmann am Eingang sieht nicht so aus, als würde er seinen Posten bald räumen. Kolja Krohn bewacht Atommüll – ein sonst eher einsamer Job im Gorlebener Forst. Seit ein paar Tagen jedoch ist Krohn nicht mehr allein. Draußen vor dem Tor campiert die Dauermahnwache Gorleben. Und drinnen haben sie Krohn Verstärkung geschickt.

Anlass des Menschenauflaufs: eine „korrosionsbedingte Verminderung der Abschlussfähigkeit eines Pressstutzens“ an einem der vielen Castor-Behälter, von den Betreibern der Lagerhalle Anfang der Woche entdeckt. Auf Deutsch: Ein Deckel ist undicht. In Schutzanzüge verpackt, müssen Arbeiter den tonnenschweren radioaktiven Koloss nach nebenan verfrachten, in die heiße Zelle der benachbarten Atommüllanlage. Mit Roboterarmen wird der Castor geknackt, der tödliche Müll in einen neuen Behälter umgepackt. Wie lange der dicht hält, weiß niemand.

Dabei hatte es im Fernsehen doch jahrelang so schön ausgesehen: Der Konvoi aus Wasserwerfern, Räumfahrzeugen und mit Castoren bepackten Tiefladern passiert das große Schiebetor, Schwenk nach oben, der Polizeihubschrauber dreht ab. „Das Ding ist drin“, funkte die Gewerkschaft der Polizei ihren Kollegen dann aufs Handy, die eingekesselten Demonstranten durften wieder gehen. Alle, die nicht so genau hingeschaut hatten, dachten: Der Müll ist weg.

Denkste. Drin ist hier noch lange nichts. Und immer weniger lässt sich verdecken: Das strahlende Zeugs muss auch wieder raus. „Drin“ nämlich war nur eine bessere Scheune, eine aufgemotzte Lagerhalle mit glattem Betonboden, im letzten Winkel in den Wald gesetzt. Gelbe Kreuze markieren die Positionen für die strahlenden Castoren, knapp die Hälfte der 420 Plätze ist belegt. Die letzte in Glas gegossene Plutoniumsuppe aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague rollte vor zehn Jahren durch das Tor. Die ersten Behälter allerdings stehen schon seit Ende des vergangenen Jahrhunderts hier in Gorleben.

Das wird selbst den AKW-Betreibern langsam unangenehm. Offiziell sind die stählernen Strahlensärge nämlich auf eine Haltbarkeit von 40 Jahren ausgelegt. Dass der jetzt leckgeschlagene Castor noch keine 30 Jahre auf dem Buckel hat, stimmt da nicht gerade zuversichtlich.

Der größte deutsche Stromkonzern reagierte auf den „Vorfall“ in der Gorlebener Atommüllscheune denn auch mit seiner ihm eigenen Prosa: „RWEon begrüßt die Absicht der EU-Kommission, für das bewährte Konzept der Zwischenlagerung baldmöglichst eine Anschlusslösung zu finden“, hieß es in einer Mitteilung des Stromkonzerns.

Diese „Anschlusslösung“ aber ist nirgendwo in Sicht. Und die Bundesregierung herzlich machtlos. Spätestens im kommenden Jahr, so hatte es einst geheißen, hätte ein Endlager da sein sollen. Doch die versprochene bundesweite Suche danach kam nicht in die Gänge. Den Konservativen, die vorhatten, den benachbarten Salzstock, wo schon Milliarden verbuddelt wurden, zum Endlager zu erklären, machte die EU einen doppelten Strich durch die Rechnung. Aus Gründen der Sicherheit kommt europaweit nur ein einziges Endlager für hochradioaktiven Müll in Frage, heißt es in informierten Prager EU-Kreisen. Und Salz scheide aus geologisch-chemischen Gründen als Wirtsgestein aus. Kolja Krohn muss um seinen Posten nicht bangen.