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Archiv-Artikel

Vogels Abschied: „Ich bin stolz auf Thüringen“

Anders als vor 15 Jahren in Rheinland-Pfalz übergibt Bernhard Vogel die Regierung reibungslos an CDU-Parteifreund

Kein Politikwechsel, aber ein neuer Typ: Dieter Althaus, rational und unpathetisch

ERFURT taz ■ Ein „Gott schütze Thüringen“ vermied Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) am Schluss seiner Abschiedsrede gestern im Erfurter Landtag. Parallelen zu seinem wenig ruhmvollen Abgang in Rheinland-Pfalz 1988 nach Intrigen in der eigenen Partei sollten nicht gezogen werden. Stattdessen sagte Vogel: „Ich bin stolz auf Thüringen“, das er eine Dreiviertelstunde lang ausgiebig als das schönste Land Deutschlands, als „Deutschland in nuce“ lobte.

Die Thüringer CDU wiederum ist stolz auf ihren Landesvater, der sein Amt nach über elf Jahren an den 44-jährigen Dieter Althaus übergab. Allen voran erging sich gestern der stellvertretende CDU-Landtagsfraktions-Vorsitzende Klaus Zeh in Elogen auf den 70-jährigen Vogel. SPD-Fraktionschef Heiko Gentzel bremste die Gleichsetzung von Partei und Land: „Sie von der CDU sind nicht Thüringen!“

Die mit wenig Spannung erwartete Wahl des neuen Minister-präsidenten Althaus erschien fast wie ein Aperçu zu den Huldigungen an den scheidenden Patriarchen. Der gab sich väterlich wie stets, manchmal schon großväterlich, wog die selbstverständlich überwiegenden Erfolge gegen offene Probleme ab. Vogel verteidigte beispielsweise höhere Personalausgaben für Lehrer, Hortnerinnen und Polizei, verteidigte auch eine höhere Schuldenaufnahme. Die Arbeitslosenquote in Thüringen ist dank hoher Pendlerzahlen mit 17,1 Prozent die niedrigste im Osten, wenn auch die Löhne die niedrigsten bundesweit sind. Der Wirtschaftsumbau sei im Wesentlichen gelungen, sagte Vogel. Er glaubt auch nicht an Bevölkerungsprognosen, die einen Schwund von 2,4 auf 1,7 Millionen Einwohner bis 2050 voraussagen.

Ganz demokratisch-staatsmännisch billigte Vogel mit Blick auf die große Koalition mit der SPD der Jahre 1994–99 auch anderen Wahrheitserkenntnis zu. Man habe aber seit 1999 den Umgang mit der eigenen absoluten Mehrheit gelernt und in einem stabilen Kabinett zusammengearbeitet. Doch genau hier biss PDS-Fraktionschef Bodo Ramelow am schärfsten zu. Die 21 roten Nelken, die er Vogel zunächst überreichte, erwiesen sich angesichts seiner ätzenden und wenig pietätvollen Rede als Danaergeschenk. Ramelow erinnerte an die zahlreichen Skandale, die zu Ministerrücktritten geführt hatten. Zuletzt traf es Innenminister Christian Köckert wegen des Umgangs mit Verfassungsschutzdaten. Vogel habe nach außen immer nur den Strahlemann abgegeben. Bei Niederlagen wie dem Hungerstreik der Bischofferoder Kalikumpel gegen das Plattmachen des Bergbaus sei das nicht durchzuhalten gewesen. Auch die Erfolgsbilanz Vogels wollte Ramelow nicht teilen: In seiner Ägide seien täglich 40 Arbeitsplätze in Thüringen verloren gegangen, kritisierte Ramelow.

SPD-Fraktionschef Gentzel dagegen vergaß eifriges Lob nicht und mäßigte sich in seiner Bilanzkritik. Er wies aber deutlich darauf hin, dass der jetzt erfolgte Regierungswechsel das Ergebnis eines Wortbruchs sei. War Vogel doch 1999 für eine volle Legislaturperiode bis 2004 angetreten. Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hingegen würdigte diese vorzeitige Übergabe an Ziehsohn Althaus später beim Sektempfang als „Zeichen politischer Meisterschaft“. In der Tat ist dieser Wechsel in der Zentrale der Landes-CDU von langer Hand vorbereitet worden, ehe ihn Vogel am 24. Mai auf dem Landesparteitag in Gera scheinbar überraschend bekanntgab. Schon bei den Intrigen des Jahres 2001 um die ungeregelte Nachfolge Kurt Biedenkopfs in Sachsen war Thüringen stets als Vorbild hingestellt worden. Clever und geräuscharm wurde Althaus jetzt inthronisiert, rechtzeitig ein Jahr vor der Landtagswahl. Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (ebenfalls CDU), standen nach der Vereidigung des neuen Ministerpräsidenten Dieter Althaus Tränen der Rührung in den Augen. Althaus fehlte übrigens eine Stimme der 48 anwesenden CDU-Abgeordneten. Sein Kabinett wird er erst heute vorstellen. In einer ersten kurzen Erklärung fielen neben Gemeinplätzen eine Beschwörung des Geistes der friedlichen Revolution von 1989 und ein Hohelied auf die soziale Marktwirtschaft auf.

„Soziale Stabilität ist nicht im Gegeneinander zu organisieren.“ Thüringen erwartet keine andere Politik, aber ein ganz anderer Typ Ministerpräsident: fast jungenhaft, aber kein Yuppie, rational und wenig pathetisch. MICHAEL BARTSCH