: Der europäische Grenzländer: Martin Schulz
Der EU-Parlamentarier aus Eschweiler bei Aachen ist der Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl. Eigentlich kannte niemand den Mann aus dem Grenzland – bis ihm Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi eine Filmrolle anbot
Martin Schulz war der klassische Verlegenheitskandidat. Rudolf Scharping, Günther Verheugen, Sigmar Gabriel – das waren die Namen, die als SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl gehandelt wurden. „Wer kennt Martin Schulz?“, fragte die Frankfurter Rundschau im Sommer 2003, als sich abzeichnete, dass der Mann aus Eschweiler bei Aachen die Wahlplakate der Sozialdemokraten schmücken sollte.
Nur eine Woche später kannte jeder Martin Schulz. Italiens Ministerpräsident Berlusconi hatte Schulz, nachdem er ihn wegen seiner fragwürdigen Haltung zu Justiz und Immunität attackiert hatte, eine Rolle als Kapo in einem Film über die Konzentrationslager der Nazis angeboten. Der Rest ist bekannt: Bundeskanzler Schröder sagte seinen Italienurlaub ab, ein Staatssekretär der Regierung Berlusconi musst zurücktreten, Schulz war das Topthema in der Tagesschau. Durch die Beleidigung war er plötzlich wer. „Natürlich wollen Politiker bekannt werden“, sagte Schulz damals der Berliner Morgenpost. Aber so? Die trappatoni-reife Berlusconi-Anekdote verfolgt „Signoore Schuulz“ seitdem. Über seine Politik spricht kaum jemand.
Dabei hat Schulz eine europäische Bilderbuchkarriere hinter sich: Seit 1994 sitzt der 48-jährige als einer der dienstältesten deutschen Abgeordneten im Europaparlament, ist Vorsitzender des deutschen SPD-Blocks und Vizechef der Fraktion der europäischen Sozialisten. Von seiner Heimatstadt Eschweiler sind es nur ein paar Kilometer bis nach Holland und nach Belgien. Sein Haus steht nur vierhundert Meter von der Grenze entfernt. Dass Schulz ein Grenzländer ist, hört man sofort: „Europäiche Union“ sagt er anstatt „Europäische“, genauso wie „Fich“ anstatt „Fisch“ – typisch für den Euregio-Dialekt. Heimat prägt.
Auf kommunalpolitischer Ebene war Schulz ein Frühstarter: Mit 31 Jahren wurde er 1987 in der ehemaligen Zechenstadt Würselen zum jüngsten Bürgermeister Nordrhein-Westfalens. „Eine ganz junge und engagierte Truppe war das damals“, erinnert sich ein Parteifreund aus der Region. Der Arbeit von Schulz sei es zu verdanken, dass Würselen den Strukturwandel geschafft und dabei eine der letzten SPD-Bastionen in der ansonsten schwarz dominierten Grenzregion geblieben sei. Schulz sei „fleißig, pragmatisch und gemäßigt links“, sagt der Genosse. Größtes Defizit sei das fehlende Mediencharisma, trotz Berlusconi. Also doch ein Mann aus der zweiten Reihe? „Bundespolitisch wird Schulz nur etwas, wenn die Personalnot in der SPD ganz groß ist.“ KLAUS JANSEN