: Ossis auf Betteltour
NRW-Städtebauminister Michael Vesper will seine ostdeutschen grünen Kollegen beindrucken und zeigt ihnen das Elend des Westens
AUS GELSENKIRCHENMANFRED WIECZOREK
Mehr Geld für den Städtebau im Westen und weniger für den Osten – diese Forderung ihres grünen Parteifreundes Michael Vesper habe sie nicht gerade begeistert, sagt Inés Brock. Sie ist die Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt. Inés Brock und weitere grüne PolitikerInnen aus Ost und West hat NRW-Bauminister Vesper zu einem Crash-Kurs Ruhrgebiet eingeladen. Vor Ort will er verdeutlichen, dass ein Kurswechsel in der Städtebauförderung nötig ist.
Schon im Herbst des letzten Jahres hatte Vesper dem für den Aufbau Ost zuständigen Minister Manfred Stolpe (SPD) gezeigt, dass im Ruhrgebiet ganze Stadtteile wegzubrechen drohen. Rund vier Fünftel der Mittel flössen in den Osten, obwohl dort nur ein Fünftel der Bevölkerung Deutschlands lebe. Eine nicht mehr zu rechtfertigende Schieflage, so Vesper damals. Prompt wurde Vesper von ostdeutschen grünen PolitikerInnen zur Städtetour eingeladen. Nun also der Gegenbesuch von Ost nach West.
Als sie in Gelsenkirchen ankommt, hat Inés Brock „ihr erstes Déjà-vu-Erlebnis“ schon hinter sich, wie sie sagt. „Was die Stahlkombinate und riesigen Volkseigenen Betriebe im Osten waren, sind hier Krupp, Zechen und die VEBA“ sagt auch Oberbürgermeister Oliver Wittke (CDU). Er empfängt die Delegation am Hauptbahnhof, der für die Fußball-WM 2006 herausgeputzt werden soll. Laut Kabarettist und grünem Oberbürgermeister-Kandidaten Bernd Matzkowski ist er zurzeit „die wohl größte Pissrinne Europas“. Neuland betraten die Ost-Grünen mit der Gesamtschule in Gelsenkirchen-Ückendorf. Von den rund 1.400 SchülerInnen haben 80 Prozent einen meist türkischen Migrationshintergrund. „Bei vielen sind die Deutschkenntnisse miserabel“, sagt Schulleiterin Felicitas Reinert. Musik, Theater, Tanz – mit diesen ungewöhnlichen Mitteln versuche man an der Gesamtschule Ückendorf die SchülerInnen zum Lernen und zum Spracherwerb zu motivieren. „Mit Erfolg“, versichert Reinert. Trotzdem hätten im letzten Jahr von mehr als 100 nach der zehnten Klasse entlassenen SchülerInnen gerade mal 18 einen Ausbildungsplatz gefunden.
Weiter geht es zur Brache des Thyssen Schalker Vereins, wo Anfang der 80er Jahre der letzte Hochofen erlosch. Von einst 4.500 Arbeitsplätzen blieben rund 250. Doch auch die stehen auf der Streichliste. Rund 20 Jahre nach dem letzten Stahlabstich soll das riesige Gebäude der alten Thyssen-Kraftzentrale abgerissen, das Gelände für Gewerbe und Wohnbebauung aufbereitet werden. Auch auf dem Consolidation-Park in Gelsenkirchen-Bismarck sollen ein Kinder- und Jugendtheater, Proberäume für Bands, Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie ein großer Supermarkt dem Stadtteil eine neue Mitte geben. Vespers Reisetross erwartet noch Stationen in Gladbeck und, natürlich, Duisburg-Marxloh. Hier schockte Vesper seinen Ministerkollegen Stolpe mit leer gezogenen, alten, heruntergekommenen Arbeitersiedlungen. „Auch im Westen ist nicht alles golden. Wir müssen uns künftig weniger nach Himmelsrichtungen bei der Förderung richten“, fasst Inés Brock ihre Eindrücke zusammen. Trotzdem: Das Ruhrgebiet sei kein Abwanderungsgebiet wie der Osten, wo alles viel beschleunigter ablaufe. „Angesichts der Verschuldung, der Dauer der Arbeitslosigkeit oder dem Einkommen pro Kopf wird klar, dass ein großer Teil der Gelder in den neuen Ländern gebraucht wird.“