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Archiv-Artikel

„Es gibt nichts zu verteilen“

Achtung, Turbokapitalist! Stefan Homburg berät nicht nur Kanzler Schröder und Ministerpräsident Wulff, der Ökonom ist auch für Lohnsenkungen und Kürzungen bei den Hochschulen. Im Übrigen würde er Bremen gerne in Niedersachsen eingemeinden

„Ich berate nicht pro domo“, sagt Stefan Homburg – und meint damit, dass er CDU wie SPD nie nach dem Munde reden würde. Vielleicht macht das den Hannoveraner Wirtschaftsprofessor in Berlin wie Hannover so begehrt. Im Interview mit der taz macht er wenig Hoffnungen auf ein Ende der Einschnitte. Außerdem mischt sich der Ökonom in die Nordstaat-Debatte ein.

taz: Vor zwei Wochen haben 500.000 Menschen in Deutschland gegen Sozialabbau demonstriert. Sie auch?

Stefan Homburg: Nein – ich halte diese Demonstrationen auch für falsch. Seit dem 2. Weltkrieg wurde der Sozialstaat ständig ausgebaut – und das war auch richtig so. Global haben sich heute die Bedingungen jedoch so geändert, dass man wieder etwas zurück-schrauben muss. Das ist wie bei der Preisfindung: Wenn man den Preis immer weiter raufsetzt und merkt, die Kunden laufen einem weg, muss man den Preis wieder senken.

42 Stunden-Woche, Kürzungen bei Löhnen, bei der Rente oder im Gesundheitswesen – wo soll das enden?

Wenn wir die Maßnahmen, die im vergangenen Jahr umgesetzt wurden, in ihrer Intensität noch einmal verdreifachen würden, wären wir bei der Wettbewerbsfähigkeit noch nicht da, wo Deutschland 1970 stand. Damals gab es noch keine Pflegeversicherung, kein Wohnraumkündigungsschutzgesetz. Und die damaligen Leistungen der Rentenversicherung oder der Sozialhilfe würde sich heute niemand mehr bieten lassen.

Schon damals zogen die Japaner in der Automobil- oder in der Fotoindustrie an den Deutschen vorbei.

Diese Entwicklung ist ja auch gar nicht schlimm. Es ist eine Fehlwahrnehmung, dass Deutschland allein durch die Konkurrenz in Asien oder Osteuropa ins Hintertreffen geraten ist. David Ricardo hat schon im vergangenen Jahrhundert die Theorie der komparativen Kostenvorteile aufgestellt. Dabei geht es um die Arbeitsteilung: Wenn Produkte nicht mehr hier hergestellt werden, sondern woanders, verkauft man halt das, was man selber besonders gut kann. Beide Seiten profitieren.

Aber das scheint in Deutschland nicht mehr zu funktionieren: Siemens will 5.000 Stellen ins Ausland verlagern, Otis will seine Rolltreppen demnächst in Tschechien fertigen, Conti drückt mehr Arbeit ohne Lohnausgleich mit der Drohung durch, in Deutschland nicht mehr zu investieren.

Dass die Firmen hier Arbeitsplätze abbauen, war früher bei der Landwirtschaft so, das war bei der Kohle so. Wenn die Arbeitnehmer andere Jobs bekämen, die produktiver sind, würde sich kein Mensch beklagen. Aber: in Deutschland fehlen die Jobs. Die Arbeitsmarktkrise hat also nichts mit Globalisierung zu tun, es handelt sich um ein rein internes Problem: Der Lohnmechanismus in Deutschland orientiert sich nicht an Angebot und Nachfrage, sondern an alten Gewohnheiten, obwohl es natürlich nicht um eine Anpassung an osteuropäische Löhne geht.

Sondern?

Auf keinem anderen Markt würde man bei einem Überschussangebot Jahr für Jahr die Preise heraufsetzen. Nur für den Arbeitsmarkt ist der Wettbewerb leider außer Kraft gesetzt. Der Lohn in Deutschland muss so gesetzt sein, dass jeder, der eine Arbeit braucht, auch Arbeit findet.

Aber die Löhne sinken doch schon. Ein Beispiel ist der öffentliche Dienst.

Für die Beamten ist in mehreren Bundesländern die Arbeitszeit verlängert worden, das Weihnachtsgeld auf 50 Prozent gesenkt und das Urlaubsgeld komplett gestrichen worden. Was ist aber mit den öffentlichen Angestellten und Arbeitern? Sie bekommen in diesem Jahr zwei Prozent mehr Lohn, und gekürzt wird nichts.

Sie als Beamter finden das natürlich ungerecht.

Ich persönlich kann damit leben und wollte nur beweisen, dass die Löhne generell eben nicht sinken. In den Bereichen, die unter der so viel gelobten Tarifautonomie stehen – meines Erachtens eine verfehlte Regelung – , steigen die Löhne sogar. Das ist bei den jetzigen Gegebenheiten einfach unangemessen. In den Niederlanden haben Regierung und Tarifparteien vor kurzem zwei Nullrunden beschlossen.

Also läuft es auf den Vorschlag von Minister Stolpe hinaus, Niedriglohn einzuführen – und das nicht nur im Osten.

Ich bin immer skeptisch, wenn die Politik Ziele beschreibt. Solang die Bundesregierung nicht die leiseste Chance sieht, das Tarifvertragsgesetz zu ändern, kann man überhaupt keinen Niedriglohn-Sektor einführen. Außerdem halte ich die Konzentration auf Ostdeutschland für problematisch. Wir haben ein gesamtdeutsches Problem. Es erscheint mir nicht sinnvoll, es durch Spaltung – auch in der Steuergesetzgebung – zu lösen.

Dahin geht ja die Diskussion. Was halten Sie davon, wenn bei der bevorstehenden Neuordnung des Förderinstrumentariums auch strukturschwache Gebiete im Westen bevorzugt werden? Was passiert mit dem niedersächsischen Umland, wenn Bremen zu so einem „Leuchtturm“ erklärt würde?

Das würde ich für falsch halten. Bremen ist seit dem zweiten Weltkrieg das zweitreichste Bundesland. Allerdings stellt es sich mit einer unglaublich geschickten Rhetorik ständig als arm dar. Zudem sind die Bremer derzeit die Hauptblockierer in der Föderalismuskommission. Auch wenn der so genannte Kanzlerbrief nicht eingelöst wird, steht das Land nicht vor der Pleite. Wer durch Bremen geht, hat doch nicht das Gefühl, das sei eine arme Stadt.

Aber die Bremer haben die höchsten Schulden pro Einwohner.

Vielleicht habe ich ja auch höhere Schulden als Sie. Das heißt aber nicht unbedingt, dass ich ärmer bin. Immerhin hat Bremen doppelt so hohe Ausgaben pro Kopf wie Niedersachsen. Die können sich so schöne Dinge wie die International University leisten, in die das Land eine Viertelmilliarde Steuergelder gesteckt hat.

Sollte man das Land „eingemeinden“?

Eigentlich schon. Allerdings wird es nicht dazu kommen, solange die Bremer selbst zustimmen müssen. Zwischen Bremen und Niedersachsen bestehen ja bereits enge Verflechtungen – wie bei Berlin und Brandenburg würde ich also eine Fusion befürworten.

Hamburg wäre dann die ideale Kapitale eines Nordstaats?

Hamburg war stets das reichste Bundesland. Die schaffen es allein. Schleswig-Holstein ist auch erfolgreich: Das Land gehörte nach dem Krieg zu den Ärmsten, inzwischen hat es sich in die Mittelgruppe hochgearbeitet.

Schaffen es die niedersächsischen Hochschulen, sich aus ihrer Mittelmäßigkeit hochzuarbeiten, wenn das Land Millionenbeträge kürzt?

Ja. Das übergeordnete Ziel der Politik muss es sein, eine nachhaltige Finanzpolitik zu gestalten. Das ist seit dem Jahr 2001 in Niedersachsen – unabhängig jeder politischen Wertung – leider nicht der Fall. Aus ökonomischer Sicht gilt: Wenn Schuldenstand und Bruttoinlandsprodukt mit gleicher Rate wachsen, ist das akzeptabel und nachhaltig. Das Bruttoinlandsprodukt wächst aber nicht mehr. Eine so lange Zeit absoluten Stillstands hat es in Deutschland seit über hundert Jahren nicht mehr gegeben. Der Bundeshaushalt und mehrere Länderhaushalte laufen aus dem Ruder. Der Grund: Alle Verhaltensweisen waren zu lange auf Wachstum programmiert. Man kann nicht so tun, als ob es immer noch Zuwächse zu verteilen gäbe. Die niedersächsische Landesregierung geht mit ihrem Sparkurs genau den richtigen Weg. Allein durch die Abschaffung der Bezirksregierungen werden schon in diesem Jahr mehrere hundert Stellen abgebaut und so Millionen Euro gespart.

Wie kommt es, dass die schwarz-gelbe Landesregierung spart und in den Umfragen zulegt, während die rot-grüne Bundesregierung spart und in den Umfragen so schlecht aussieht?

Das hat aus meiner Sicht eine Berechtigung. Die Umfragewerte resultieren doch weniger aus den Kürzungen als vielmehr daraus, dass da jemand sein Wahlversprechen gebrochen hat. Die Maßnahmen der Agenda 2010 hat Herr Müntefering noch bis zum vergangenen Jahr als neoliberal gebrandmarkt. Heute erzählt er das exakte Gegenteil. Herr Wulff hat von Anfang an eine Sparpolitik angekündigt – und das auch durchgezogen. Das halte ich für eine glaubwürdige Politik.Interview: Kai Schöneberg