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Archiv-Artikel

Den Stars eine Stimme geben

Beim Synchronsprechen sind schauspielerische Talente gefragt. Doch auch Laien haben auf dem hart umkämpften Markt Chancen, Leinwandstars ihre Stimme zu leihen. Den „Kaffee-Satz“ richtig zu sprechen, bringt manche ins Schwitzen

von REBECCA MENZEL

Holger Löwenberg lässt ein rauchiges Kichern los, dass der Oberkörper vibriert, und sagt mit seiner tiefen Stimme und einem verführerischen Ton: „Dann trinken wir jetzt Kaffee.“ Konzentriert schaut er dabei auf den Monitor vor ihm und folgt den Lippenbewegungen Robert Duvalls. Der amerikanische Starschauspieler hat in dem Film „Assassination Tango“ die Rolle eines tanzbegeisterten Killers übernommen und auch Regie geführt. Für den deutschen Kinomarkt liegt bereits eine synchronisierte Fassung vor, die von dem Synchronregisseur Joachim Kunzendorf betreut wurde.

Kunzendorf ist in der Berliner Synchronlandschaft eine Ikone. Seit über zwanzig Jahren ist er als Synchronregisseur tätig und bietet am Institut für Schauspiel, Film- und Fernsehberufe an der Volkshochschule Mitte eine Fortbildung für Schauspieler zum Synchronsprecher an. Für seine Schüler hat er sich heute eine besonders knifflige Filmpassage ausgesucht.

Nach einem kurzen Szenenwechsel folgt der „Kaffee-Satz“ erneut. Wieder muss Holger Löwenburg sagen: „Dann trinken wir jetzt Kaffee.“ Das steht so im Drehbuch, doch diesmal soll die Betonung anders sein. Immer wieder wird die Passage zurückgespult, immer wieder setzt Löwenberg erneut an und gerät langsam ins Schwitzen. Es warten noch zwei andere Kandidaten auf die Chance, Duvall ihre Stimme zu leihen.

Die Situation ist klassisch für Synchronsprecher. Im echten Leben zeigt sich jetzt die Professionalität eines Schauspielers. Wie geht er mit der Anspannung um, die in einem Tonstudio herrscht, in dem alles schnell gehen muss und alle Beteiligten unter Stress stehen? Das Synchronisieren von 40 Szenen in einer Stunde ist keine Seltenheit. Oftmals bekommen die Synchronsprecher nur eine kurze Beschreibung dessen, worum es in dem Film überhaupt geht, dürfen sich die Szene einmal anschauen, und dann heißt es auch schon wie am Set: „Wir drehen!“

Das Vokabular im Synchronstudio orientiert sich an der Sprache am Filmset, obwohl weit und breit keine Kameras zu sehen sind. Doch nicht nur deshalb ist Kunzendorf davon überzeugt, dass eine schauspielerische Vorbildung für Synchronsprecher entscheidend ist. Eine gute Sprechtechnik und eine variable Stimme sind beim Synchronisieren unabdingbar. Die Anweisungen des Regisseurs, in welchem Stil gesprochen werden soll, müssen schnell umgesetzt werden können. Der ganze Körper muss zum Einsatz kommen, damit es gelingt, einem banalen Satz einen bestimmten Gestus zu verleihen, eben gerade weil man den Körper des Sprechenden nicht sieht.

Was man tun muss, um genau so außer Atem zu sein, wie ein Flüchtender auf der Leinwand, auch wenn man in Wirklichkeit entspannt vor dem Mikrofon steht, will Irene Wagner ihren Studenten vermitteln. Sie unterrichtet das Fach Synchronsprechen an der Schauspielschule der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Babelsberg. Hier lernen die Studenten am Anfang ihres dritten Studienjahres die Technik des Synchronisierens. Dazu gehört vor allem, mit dem Time Code, also dem Zähler, umzugehen, um den richtigen Einsatz nicht zu verpassen und eine Sensibilität für fremde Sprachen zu entwickeln. Die amerikanische Art zu sprechen etwa ist für deutsche Ohren eher eine Art Gesang. Ungeübte Synchronsprecher versuchen, dies zu imitieren, was zu grotesken Ergebnissen führen kann. Die HFF hat im Vergleich zu anderen Schauspielschulen einen entscheidenden Vorteil, denn hier treffen auszubildende Cutter, Tontechniker und Schauspielstudenten aufeinander, die voneinander lernen können. Außerdem fallen die hohen Mieten für ein Tonstudio nicht an. Dennoch nehmen immer mehr Schauspielschulen in Berlin neben Sprechkursen auch das Synchronisieren in ihren Lehrplan auf. Damit wollen sie ihren Absolventen neben Engagements beim Theater und beim Film ein weiteres Standbein bieten.

Die Fortbildung zum Synchronsprecher wurde ausgebildeten Schauspielern bis vor kurzem noch vom Arbeitsamt bezahlt. In den Zeiten knapper Kassen jedoch verweist die Behörde auf die zu geringe Erfolgsquote bei der Berufsfindung und hat das Angebot an eine Einzelfallberatung geknüpft. Nur wenn nachgewiesen werden kann, dass mit der Zusatzqualifikation eine echte Chance auf Rückkehr in den Arbeitsmarkt besteht, wird diese finanziert. Doch nach einem sicheren Arbeitsplatz suchen besonders Neueinsteiger auf dem deutschen Synchronmarkt wohl vergeblich, die Kirch-Krise hat auch hier gewirkt. Nach dem großen Boom Anfang der Achtzigerjahre als die Synchronbranche von der Etablierung des Videoformats profitierte, war schon in den Neunzigern ein stetiger Rückgang der Auftragslage zu beobachten. Jetzt ist der Kampf um die wenigen großen Filme noch härter geworden. Zudem drängen immer mehr Laien auf den Synchronmarkt, die auch noch die Löhne drücken.

Viele fangen schon als Kinder mit dem Synchronisieren an und bleiben dann einfach dabei. „Kinder“, so Joachim Kunzendorf, „gehen meist mit einer großen Freude und völlig unverkrampft an die Sache und haben daher einen großen Vorsprung.“ Laien im fortgeschrittenen Alter jedoch haben ohne ausgebildete Stimme und zumindest einem Funken Erfahrung keine echte Chance, sich als Sprecher zu etablieren. Einen Schnupperkurs für alle Interessierten bietet deshalb der Schauspieler Wolfgang Hosfeld beim Theaterstudio e. V. an. Er ist davon überzeugt, dass gerade Menschen mit bestimmten Dialekten eine Nische im Synchronmarkt finden können. Am allerwichtigsten für angehende Synchronsprecher ist für Hosfeld aber der unbedingte Wille, diesen Beruf ausüben zu wollen. Meist schöpfen Synchronregisseure aus einem Pool von ihnen bekannten 300 bis 400 Stimmen und geben neuen Stimmen eher selten eine Chance.

Der französische Schauspieler Patrice Luc Doumeyrou, der seit 25 Jahren in Berlin lebt, hat Ausdauer bewiesen. Er fing mit Massenszenen an, hat dann kleinere und immer mal wieder größere Rollen gesprochen. Inzwischen hat er sich mit seinem französischen Akzent in das Gedächtnis von genug Synchronregisseuren geschlichen, dass er davon leben kann. In „Matrix Reloaded“ lieh er jüngst dem Bösewicht Merovingian, verkörpert von Lambert Wilson, seine Stimme.