: Zersplitternde Gesellschaft
Fragen nach Osmose zwischen Privatem und Politischem prägen den Thalia-Spielplan für die kommende Saison
Wie weit reicht das Private ins Politische hinein; ist es eigentlich schon wieder möglich, auch im Privaten Ethik als Handlungsmovens zu benennen, ohne als antiquiert zu gelten? „Uns interessiert, wie in Zeiten der Rückbesinnung auf Ethik mit der Spannung zwischen Privatheit und Politik umgegangen wird“, betonte Thalia-Dramaturg Michael Börgerding bei der Präsentation des Spielplans für 2004/2005, und nicht nur deshalb werde man die Spielzeit mit Schillers Jungfrau von Orleans eröffnen. „Es geht um Selbstkonstruktion, um das Oszillieren zwischen dem Wunsch nach Einbindung in einen größeren Zusammenhang und damit nicht immer kongruenter Privatheit“, betont Intendant Ulrich Khuon. Auch das Auftragsstück Der Bus von Lukas Bärfuss, in dessen Zentrum eine Pilgerin steht, tangiert diese Frage sowie möglichen Selbstverlust infolge überbordenden religiösen und persönlichen Engagements.
Wertediskussionen in Sarte-artig klaustrophobischen Räumen spiegelt, ähnlich wie in Vineta, Moritz Rinkes Die Optimisten, ein Auftragswerk für das Bochumer Schauspielhaus, das im September am Thalia in der Gaußstraße Premiere hat. Ausgewählte Exemplare der nach einem Happen Spiritualität gierenden Wohlstandsgesellschaft finden sich dort in einem nepalesischen Hotel eingesperrt; Idealismen haben alsbald ausgedient. Desillusionierung angesichts nicht mehr vertrauenswürdiger Eltern treibt auch die Jugendlichen in Ferdinand Bruckners 1952 uraufgeführtem Stück Früchte des Nichts um.
Reflexion über zersplitternde Familien, langsam zersetzendes Misstrauen prägt etliche Stücke auch dieser Spielzeit. Eugen O‘Neills Eines langen Tages Reise in die Nacht ist so eins, das die Familie als letzten Halt süchtiger Individuen präsentiert. Und wenn es um politisches Theater geht, kommt Nicolas Stemanns Projekt German Roots in der Gaußstraße dem am nächsten: Analog einer in Israel geführten Diskussion zwischen Enkeln und Großeltern über den Holocaust stellt Stemann die Frage nach einer ähnlich gearteten deutschen Erinnerungskultur.
Eine weitere Premiere auf der großen Bühne, risikobehaftet und mutig: Shakespeares König Lear, inszeniert von Andreas Kriegenburg, Premiere ist im Februar 2005. PS