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Archiv-Artikel

Anspruch und Rechtsanspruch

Der Kita-Kompromiss: Ab August sollen berufstätige Eltern für ihre Kinder von Null bis 14 Jahren eine Betreuung erhalten, zwei Jahre später haben sie einen Rechtsanspruch darauf. Krippenplatz für Notfälle ab sofort, fünfte Betreuungsstunde folgt zum 1. August. Elternmitsprache wie bei Schulen

Die Kita-Volksinitiative und der CDU-Senat haben sich auf eine Reform geeinigt, die im Wesentlichen auf dem „Hamburger Kinderbetreuungsgesetz“ (KiBeG) der SPD basiert. Zusätzlich wurde eine Art Krippen-Rettungsprogramm vereinbart. Ergänzt um die bereits Ende Januar getroffenen Zusagen Ole von Beusts gilt folgendes:

* Krippe 1 (0 bis 3 Jahre): Hier startet die Sozialbehörde ab nächster Woche ein „Sofortprogramm“ für Härtefälle. Eltern, deren ansonsten gewährleistete Berufstätigkeit an der fehlenden Krippenbetreuung scheitern würde, soll „unbürokratisch“ und „außerhalb des Gutscheinsystems“ Plätze angeboten werden. Dies wird laut Klaus Meister, Staatsrat der Sozialbehörde, auch deshalb gemacht, weil das Gutscheinvergabesystem als solches „überprüft“ wird.

* Krippe 2 (0 bis 3 Jahre): Wer sich bisher selbst half, kann dies auch weiter tun. Nach diesem Grundsatz können Eltern, die bislang den unsubventionierten Preis von bis zu 800 Euro für einen Krippenplatz zahlen, möglicherweise nicht als Härtefall gelten. Es sollen aber ab dem 1. August 2004 alle berufstätigen Eltern für Kinder von 0 bis 3 Jahren eine Betreuung bekommen und dabei zwischen Krippe und Tagesmutter wählen können. Den einklagbaren Rechtsanspruch dafür gibt es ab August 2006.

* Elementar (3 bis 6 Jahre) nicht berufstätiger Eltern: Ab 1. Januar 2005 erhalten alle Kinder dieser Altersgruppe einen Rechtsanspruch auf fünf Stunden Betreuung täglich einschließlich eines Mittagsessens. Dies soll der Bildung der Kinder dienen und die Einschnitte in den sozialen Brennpunkten ausgleichen (siehe unten).

* Elementarkinder (3 bis 6 Jahre) berufstätiger Eltern: Für diese Altersgruppe erhalten berufstätige Eltern seit Anfang April Kita-Gutscheine im Unfang von sechs oder acht und bei Bedarf auch zehn oder zwölf Stunden täglich. Maßgeblich ist die tägliche Arbeits- plus An- und Abfahrtszeit. Aber Achtung: Die Bewilligung gilt für ein Jahr, über den Anschluss in 2005 und 2006 ist noch nichts gesagt worden. Der Rechtsanspruch für diese Berufstätigen gilt erst ab August 2006.

* Schulkinder (6 bis 14 Jahre): Auch hier gilt noch das Versprechen des Senats vom Januar, allen beruftstätigen Eltern für ihre Kinder im August zur Einschulung auch den anschließenden Hortplatz zu bewilligen. Rechtsanspruch aber erst ab 2006.

Schulkinder nicht berufstätiger Eltern kommen im Kita-Kompromiss nicht vor.

Denselben Anspruch wie Berufstätige haben auch Eltern, die eine Ausbildung machen, an einer beruflichen Weiterbildung, an berufsvorbereitenden Maßnahmen oder an einem Deutschkurs teilnehmen.

* Die Rechte der Eltern werden gestärkt. Jede Kita soll einen Elternvertreter in einen Bezirksausschuss entsenden, der wiederum einen Landeselternausschuss wählt. Diese Kita-Elternkammer muss von der Behörde in allen wesentlichen Kita-Angelegenheiten informiert und angehört werden. Außerdem gibt es einen Muster-Kita-Vertrag, der Eltern vor Willkür und überlangen Kündigungszeiten schützt.

* Die Rechte der Kinder: Zaghafte Mitbestimmung gibt‘s auch für Kinder. Im Vorschulalter sollen sie eine Vertrauensperson wählen, die ihre Interessen vertritt. Schulkinder sollen ein Kind als Sprecher wählen, der in Elterngremien mitmischt.

* Kosten für Eltern: Die Höhe der künftigen Elternbeiträge ist noch unklar. Die Lenkungsgruppe hatte vorgeschlagen, der fünften Rechtsanspruchsstunde ein günstigeres Vierstundenangebot gegenüberzustellen. Ole von Beust sagte gestern, er wolle diesen Rechtsanspruch nicht durch zu hohe Gebühren konterkarieren.

* Kosten der Träger: Sie sollen einen Beitrag zur Kita-Finanzierung leisten und Geld abgeben. Laut Bericht der Kita-Lenkungsgruppe wurden im Vorjahr 44,3 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben, aber nur 1.600 neue Plätze geschaffen. Dies wird auf die – in einzelnen Segmenten um bis zu 30 Prozent – erhöhten Pflegesätze zurückgeführt.

Die Lenkungsgruppe schlug kürzlich vor, den Trägern 50 Millionen Euro abzuverhandeln und die Standards zu senken. Allerdings nennt der Bericht hier auch Grenzen. So sei eine „gewisse Gewinnmarge“ systembedringt geboten. Eine vollständige Umstellung auf Mindesstandards würde sonst eine Kita mit jedem Leerstand sofort ins wirtschaftliche Minus drücken. Die Verhandlungen sollen in sechs Wochen beginnen.

* Die Verlierer: Zu den Verlierern des Kita-Kompromisses gehören sozial Schwache. Noch bis zur ersten Kita-Reform im August 2003 hatten Migrantenkinder, Kinder von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen gute Chancen, einen Ganztags-Kita-Platz zu erhalten. Die SPD versprach zwar im Wahlkampf eine Kita-Reform, die die Kinder in den sozialen Brennpunkten „mitnimmt“, in ihrem Kita-Gesetz ist dies jedoch nicht berücksichtigt. Hier ist lediglich von „dringlichen“ sozialen Bedarfen die Rede, was strenge Kriterien wie zum Beispiel Suchtabhängigkeit der Eltern voraussetzt.

Vor der Spaltung in „normal“ und „dringlich“ ging im Jahr 2000 die noch von der SPD-Regierung in Auftrag gegebene ISKA-Bedarfsstudie von rund 8.000 Kindern mit „sozialem Bedarf“ aus. Durch die Einschränkung „dringlich“ schrumpfte diese Gruppe seit August 2003 auf rund 2.400.

* Sprachförderung: Dieses Thema wurde beim Kita-Kompromiss ausgeklammert. In der noch vor den Verhandlungen gültigen Fassung des SPD-Kita-Gesetzes war im Begründungsanhang eine Erklärung des „dringlichen“ sozialen Bedarfs enthalten. Diese führte auch „erhebliche Defizite in der sprachlichen Entwickung“ auf. In der Kompromiss-Fassung des Gesetzes fehlt dieser Satz. kaija kutter