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Archiv-Artikel

Zurückbleiben ist möglich

Die S-Bahn will mehr Arbeit für weniger Geld. Die Mitarbeiter diskutierten daher vor den morgigen Tarifverhandlungen sogar spontane Proteste. In den nächsten Tagen könnten Bahnen stehen bleiben

VON RICHARD ROTHER

S-Bahn fahren kann sehr entspannend sein: kein Stau, breite Sitze, Zeitung lesen bei Tageslicht. Wer sich in dieser Woche mit der S-Bahn auf den Weg macht, könnte allerdings in Hektik geraten. Bleibt mein Zug auf einem Bahnhof stehen, oder fährt er weiter? Klappt mein Anschluss, oder streikt ein S-Bahner? Spontane Arbeitsniederlegungen sind jedenfalls nicht auszuschließen.

Hintergrund sind die Tarifverhandlungen bei der S-Bahn, die morgen nach neunmonatiger Sendepause beginnen. Die Beschäftigten, die weniger Geld als ihre Kollegen bei der BVG verdienen, sind sauer. Denn die S-Bahn GmbH, eine Tochter der Deutschen Bahn AG, fordert nach Gewerkschaftsangaben, dass die Bahner für weniger Geld länger arbeiten. Die Bahner hingegen wollen mehr Geld: bis zu 5 Prozent. Außerdem wollen sie Verbesserungen bei den vermögenswirksamen Leistungen. Zoff ist also vorprogrammiert.

Zudem sollen Arbeitsplätze abgebaut werden. „Der Unmut ist groß“, sagt S-Bahn-Betriebsratschef Andreas Tannhäuser. Für den heutigen Dienstag allerdings hätten sich „die Kollegen zur Vernunft bringen lassen“. Im Klartext: Die bereits diskutierten „spontanen Unmutsäußerungen“ wird es heute nicht geben, die S-Bahnen fahren. Auch im Unternehmen geht man davon aus, dass die Bahnen heute fahren werden.

Aber was heute ist, ist nicht alle Tage. Scheitern die morgigen Tarifverhandlungen für die knapp 4.000 S-Bahner, wird ein Schlichter eingeschaltet. Dann befinden sich die Gewerkschaften offiziell in der Friedenspflicht und dürfen nach deutschem Streikrecht nicht zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen. Spontane Aktionen von Beschäftigten aber ließen sich deshalb noch lange nicht ausschließen. Und: Werden die Verhandlungen fortgesetzt, wären begleitende Warnstreiks sogar legal.

Zunächst aber wollen die Gewerkschaften das Angebot des Unternehmens abwarten. „Bevor wir Rabatz mach, müssen wir wissen, wofür“, sagt der Bezirksleiter der Gewerkschaft der Lokführer, Hans-Joachim Kernchen. Arbeitsniederlegungen während der Friedenspflicht bedeuteten nicht nur Ungemach für die Fahrgäste, die Kollegen hätten auch mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.

Dies sieht Oliver Kaufhold, Vizesprecher der Bahngewerkschaft Transnet, ähnlich. Allerdings könne man in einen Tarifvertrag eine Zusatzklausel einfügen, dass der Arbeitgeber auf rechtliche Schritte gegen einzelne Kollegen verzichtet. Spontane Aktionen seien nicht unbedingt zu begrüßen. „Verständnis haben wir aber.“ Und sollten die Arbeitgeber kein verhandlungsfähiges Angebot vorlegen, könne gestreikt werden.

Ende März hatte es bereits Gespräche über die Tarifverhandlungen zwischen der S-Bahn und den Gewerkschaften gegeben; zuvor war der Verkehrsvertrag zwischen dem Land Berlin und dem Unternehmen paraphiert worden. „Uns geht es darum, unser Unternehmen im Verkehrsmarkt zu stabilisieren und gleichzeitig Arbeitsplätze zu sichern“, so Heinrich Hinz, Arbeitsdirektor der S-Bahn. Dies lasse sich nur durch wettbewerbsfähige Kostenstrukturen erreichen, wobei auch die Kosten im Personalbereich gesenkt werden müssten.