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Archiv-Artikel

Arschfalten und Nacktschnecken

Ganz tief unten in Oberfranken: Erkenntnisleistungen am Infantilenstammtisch

Selbst ein heftiges Erdbeben würde sie nicht aus der Verankerung reißen können

Aufgrund nicht abbiegbarer verwandtschaftlicher Verpflichtungen hatte ich Gelegenheit, ein fränkisches Gasthaus aufzusuchen, um ein aus Gründen der besseren Süffigkeit kohlensäurearmes Bier zu trinken, denn der Franke versteht nicht nur etwas von der Bierbraukunst, sondern auch davon, wie sich am besten schnell und viel in sich hineinschütten lässt. In der Ecke tagte der Stammtisch, vier Männer und eine Frau, alle mit einer breitärschigen Sitzfestigkeit gesegnet, sodass selbst ein heftiges Erdbeben sie nicht aus der Verankerung würde reißen können. Es ging um Schnecken bzw. um deren Vernichtung. Die Unterhaltung wurde in einer Tonlage geführt, die stilles Ignorieren unmöglich machte. Die Lauscher musste man nicht auf Empfang stellen, selbst ein Hörgeschädigter hätte sich schwer getan, von der Unterhaltung nichts mitzubekommen.

Salzwasser ins Gehäuse träufeln, empfahl der eine. Das würde nichts nützen, meinte der andere, jedenfalls hätte er schon mal eine Schnecke beobachtet, die nach der Salzwasserbehandlung einfach munter ohne Gehäuse weitergekrochen sei, und man selber würde mit dem Gehäuse „dou hoggn“ und in die Röhre gucken. Das war mir neu: Schnecken, die ihr Gehäuse mal so eben verlassen, weil es dort zu ungemütlich wurde? Aber vielleicht waren die fränkischen Schnecken ja anders gestrickt als sonstwo. In Franken muss man auf alles gefasst sein.

Mitten im folgenden tiefkehligen Gurgeln und Hüpfen der Fleischmassen wurde noch ein anderer Vorschlag in die Runde geworfen. Die Schnecken in einen Bottich mit Salzwasser zu werfen. Das wäre totsicher. Der Brei sehe sehr „leggä“ aus, sagte einer, während die Stammtischkollegin gerade einen Schluck Bier trank und sich ekelte. Sie sagte, dass sie die Schere bevorzuge, mit der sie „die Viecher“ zerschnibbeln würde, während „ma Mo dähamm a su alangs Messä hod“, dabei breitete sie ihre gleichermaßen kurzen wie dicken Arme aus. „Mid demm braach i mi nämli ned biggn“, ergänzte der als „ma Mo“ bezeichnete Ehemann. Das Messer sei vorne nicht spitz, sondern abgerundet, und dann ziele er genau auf die Mitte der Schnecke. „Wos glabbst, wie des Zeuch ausanannerspratzld, des hupfde richtich in die Höh“, lachte er, während seine Frau ihn nicht sonderlich ernsthaft ermahnte: „Gizuu, etz machamol an Bungd.“ Der Punkt wurde jedoch noch lange nicht gemacht.

Jetzt ging es um die Hip-Hop-Mode bei Pubertierenden, die offensichtlich nun auch in Oberfranken Einzug gehalten hat, genauer die in den Kniekehlen hängende Jeans, die jedem, der es gar nicht so genau sehen will, die Arschfalte präsentiert, eine modische Verirrung, die jedoch auch nicht viel schlimmer ist als das, was man in den Siebzigerjahren trug. Und auch der säuerliche Rucksack-Schlurfi auf dem Kirchentag kann da locker mithalten. Ein ernstes Thema, bei dem man keinen Spaß mehr vertrug. „Etz woan die a in dä Kärrng, alsunaa, des giddoch ned“, schnaubte die Frau, die nicht verstehen konnte, wie Eltern so was zulassen können: Arschfalte zeigen in der Kirche! Und ihr Mann, der der Empörungssuada stumm zugehört hatte, brütete zustimmend: „Wenni suwos siech! Die kenndi däschloung.“ Dabei stand der Totschläger auf, um das bei dieser Erkenntnisleistung plötzlich drückende Wasser abzuschlagen. Als er sich zwischen Bank und Tisch hervorgezwängt hatte, kam eine auffällig gemusterte Freizeithose mit Gummizug und Ausbeulungen am Knie zum Vorschein, obenrum ein schlabbriges, farblich nicht zu definierendes T-Shirt mit satteltaschengroßen Schweißflecken. Das Arrangement war ungefähr so auffällig wie eine Kröte auf einer Sahnetorte.

Na gut, dachte ich, die Oberfranken sind rau. Sie lieben den kurzen Prozess, aber sie meinen es nicht wirklich so. Nur ein bisschen. Nacktschnecken und Hiphopper sollten dennoch besser einen Bogen um diesen Landstrich machen, denn letztlich kann man nie wissen, wann der Oberfranke seine Langmut verliert. Vielleicht wenn „die Woscht“ ausgeht, die der Franke dringend für sein seelisches Gleichgewicht benötigt. Ich weiß es nicht, obwohl ich selber aus der Gegend komme. Und dann dachte ich, eigentlich sollte jemand, der in der Öffentlichkeit in Wischmobklamotten herumläuft, die die tief gelegte Jeans bei weitem noch toppt, nun wirklich nicht die Klappe so weit aufreißen, sondern selbige schön halten. Es könnte nämlich sein, dass ich sie ihm ansonsten stopfen müsste, wobei ich mir – meinen Vernichtungsfantasien freien Lauf lassend – ein paar unschöne und grobe Torturen ausdachte, die ich dem Großmaul angedeihen lassen würde. Aber dann kam alles ganz anders. Ich zahlte und ging. Dem Stammtisch warf ich einen vernichtenden Blick zu, aber leider kam niemand zu Schaden. KLAUS BITTERMANN